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Indonesia

30. September 2007

INDONESIA | Monday, 1 October 2007 | Views [924]

An Orten sein, von denen man nicht gewusst hatte, dass sie existieren. Oder: An Orten sein, von denen man nie geglaubt hätte, dass man je dorthin kommen würde. Oder: An Orten sein, von denen man dachte, dass sie allein den Büchern gehören. Die Inseln und Küsten in den Büchern Joseph Conrads. Inge auf Borneo: mit irgendwelchen rasenden Termitenhorden, die sich in die Vorstellungswelt des Kinderhirns fraßen und bis heute alles mögliche andere daraus verdrängt halten. Palangka Raya: noch im Reisebüro muss ich immer wieder auf meinen Zettel kucken, um nichts Falsches zu sagen. Palangka Raya, die Hauptstadt von Kalimantan, dem indonesischen Teil Borneos. Palangka Raya. Verloren sein in den klingenden Namen. Java, Jakarta, Kalimantan, Palangka Raya, Sebangau: das ist die Reisebewegung. Palangka Raya liegt in Central Kalimantan und vermittelt dennoch das Gefühl eines Grenzortes. Leere sandige Straßen, die voll sind von kleinen Mechanikerwerkstätten, so als solle man sich für tausend Meilen lange Reisen ins Nichts rüsten. „A city at the boundary to nowhere“, sagt auch der Italiener, den ich im Hotel Adidas treffe, „with a lot of strange stuff in the shops that you would never want to buy. But it is nice anyway to see them to be so full.” Das Hotel Adidas vermittelt das in solchen Hotels an solchen Orten nicht seltene Gefühl, sich in einer Familiengruft zu befinden. Lange dunkle Gänge, nur langsam aufflackernde Neonleuchten und Geräuschen aus dem Bad, denen man nicht nachgehen will. „If I was inventing horror video games, I would choose the setting of the Adidas Hotel“, sagt der Italiener, mit dem ich aus Gründen der Sprachüberwältigung ganze Tagesabschnitte lang Englisch spreche. Doch man kann wieder Sterne sehen in der Nacht und Menschen in Plastikflipflops, die sich von den Bordsteinkanten auf die Straßen fallen lassen, wie an irgendeinem Sommerabend irgendwo. Wir essen riesige rote Krebse und Shrimps, deren Arme uns über den Tellerrand eines ebenfalls in einer Garage untergebrachten chinesischen Restaurants entgegen greifen, und trinken dazu nach Rosenwasser schmeckenden Tee, heiß, mit Eiswürfeln.

Am nächsten Tag geht es hinaus ins Nichts, in die Landschaft aus den Büchern und den Regenwaldbroschüren von damals. Csicsu und Tejo, Assistenten von CIMTROP (Centre of international research for tropical peatlands) stehen mit Motorrädern vor dem Hotel.  Hinter eben diesem Csicsu, auf einem eben dieser Motorräder, in rasendem Tempo über die Straßen von Palangka Raya dahinfegend, mit den Beinen und Fingern festgekrallt, gerade noch eben so, dass es nicht unsittlich erscheint, versuche ich, ans Skifahren zu denken. Ganz locker in den Knien bleiben. Nicht die falschen Muskeln anspannen. In die Kurve legen. Nicht an die Geschwindigkeit denken. Die Geschwindigkeit genießen, den Wind, die Windtränen. Trotzdem dauert es lange, bis wir an einem Ort mit Holzhäusern auf Holzstangen und Fischreusen vor den Türen, einem flachen Boot aus blauem und grünem Holz mit Außenbootmotor angekommen sind. Gefährt wechseln.  Nun in einem Boot durch die Landschaft der Bücher und allerliebster Vorstellungswelten rasen. Vom Bug geteiltes Rotes und schwarzes Wasser, wie Jod, weiße Fischleiber. Weiße Sonne über den Rändern des Flusses: Moor und Palmen, stumm, hier bewegt sich nichts mehr, das Ufer schließt sich für eine der endlosen Fahrten von Lord Jim. Dann bricht das Bild: an einem Anlegesteg neben einem kleinen Wagon steht ein weißes Mädchen mit einem englischen Haarknoten und unfasslicher Weise ockerfarben lackierten Fußnägeln. Sie spricht fließendes Indonesisch mit Csicsu und Tejo und wird sofort, noch ohne konkreten Anhaltspunkt, Gegenstand tiefsten Neides. Dieses Auftauchen im Nichts, als gerade alles gleichzeitig in Fremde und unheimliche Vertrautheit zu versinken begann, und dann auch noch so adrett, ohne sichtbare von den Tropen davongetragene Macke – wie der schon halb wahnsinnige Almayer am Flussrand, ein an einer Seilwinde emporgehobenes Pony entgegennehmend –, Rosalie.   Rosalie verfrachtet, schäkernd! mit Csicsu, uns und unsere Rucksäcke auf den Wagon, der nun, auf einem eingleisigen Bähnchen, durch das Moor zu rattern beginnt bis zum Camp. Ein Camp aus Holzbohlen und Holzhäusern, unterteilt in kleine offene Räume mit Moskitonetzen und bunten Sarongs an den Wänden. Bücher und Gummistiefel liegen auf den Veranden herum, offene Zigarettenschachteln und halbleere Gläser mit kaltem Tee. Hier sind sie nun, die Verrückten. Orang-Utan-Forscher, Gibbonforscher, Anthropologen und Saatgutspezialisten, keiner älter als 30, alle mit Dreck unter den Fußsohlen, alle mit weiten Hosen mit vielen Taschen, mit Körpern, die schnell auf Bäume klettern und stundenlang in gebückter Haltung durch den Busch laufen können. Aus England, aus Spanien, aus Indonesien. Sie haben Klemmbretter mit Tabellen, wer wo wann was gefressen hat, sie wissen, wer gemeint ist, wenn von Gruppe Ninja, Gruppe Karate und Gruppe C die Rede ist. Sie reden über Kamerafallen für Wildkatzen und über Schmetterlingsmarkierungen in Andalusien – Filzstiftmarkierungen auf den vanillegelben oder rotverbrämten Flügeln, mit dem GPS-Gerät registriert, nach einer Woche sind sie tot, die Schmetterlinge, aber glücklich festgehalten für die kleine Dauer ihrer Lebenszeit  –, sie rauchen selbst gedrehte Zigaretten und können etwas auswendig auf der Gitarre spielen. Ihre Arbeitszeit beginnt morgens um halb vier oder halb fünf, wenn die Orang-Utans noch in ihren selbstgebauten Nestern schlafen und die Gibbons anfangen, in die Nacht hinein zu rufen und ihre Reviere zu markieren. Sie stehen leise auf unter den Moskitonetzen, binden sich ihre Messer und ihre Kopflampen um, ziehen sich ihre Turnschuhe und Gummistiefel an, packen Reis und warmes Gemüse, die bei einer einsam leuchtenden Kerze in der Küche in großen Messingtöpfen bereitstehen, in Tupperwaredosen und gehen hinaus in die Nacht.

Und so machen wir uns mit Bernardo, dem „Gibbons guy“ aus Barcelona, um 4:30 Uhr auf den Weg. Die Sterne stehen über dem Wald, die Affen singen und ich weiß nun, wie man nachts im Wald keine Angst bekommt. Man rennt. Bernardo rennt los, unvermittelt, mitten in den Regenwald hinein, über Wurzeln so hoch und so dick wie ein Bein, über sumpfigen Untergrund, über Baumstämme, mitten hinein ins Dunkle und in die Rufe tausender fremder Kehlen. Aber die höre ich nicht, denn ich haste, stolpere, renne, falle über die Wurzeln, die Baumstämme, die Schlingpflanzen. Ich falle hin, ich stehe wieder auf und renne weiter, das Krachen und Ächzen meiner Schritte, dem irrlichterhaften Schimmer von Bernardos Kopflampe hinterher. Meine eigene zeichnet irre Muster auf den Weg, ein Mal gerät eine große Spinne in den Lichtkegel, dann ein Tausendfüßler, aber immer nur kurz, schon sind sie wieder im Stockdunkel verschluckt und man selber weiter gerannt. Hinter mir rennt der Italiener, ich frage mich kurz, ob er über die gleichen Wurzeln fällt, wie ich, dahinter wiederum Csicsu und Tejo, von ihnen weiß ich, dass sie nicht fallen.  Denn sie sind mit uns am Nachmittag vorher das erste Mal in den Wald gegangen, haben uns die Bäume gezeigt, um die es in den Kampagnen der Umweltschutzorganisationen und den Zahlenkolonnen der Holzimporteure geht, Bäume, deren Stämme sich irgendwann hoch oben im Grün verlieren. Wir haben auf den Schienen des Bähnchens gehockt und eine Horde Makan-Affen beim Überqueren der Gleise beobachtet, und Tejo hat mit seinem Buschmesser – einem Buschmesser! einem echten Buschmesser! so viele Bücher können es doch nicht gewesen sein, in denen es um Dschungel auf Borneo ging – eine Liane – eine Liane! -  aufgeschnitten und uns das darin gespeicherte Wasser in den Mund rinnen lassen. Csicsu und Tejo stolpern nicht und schwitzen nicht und Bernardo tut es auch nicht. Als es hell wird, nach etwa einer halben Stunde dieses frenetischen Laufes, halten wir das erste Mal inne, der Italiener und ich am Ende unserer Kräfte, verschwitzt, verdreckt, schwer atmend, die anderen drei mit einem kleinen Gähnen. Wir setzten und das erste Mal auf die Baumstümpfe und Bernardo lauscht hinein in den Wald. Man hört die Gibbons rufen, ein mehrstimmiges Ulululele, aber das ist nicht die Gruppe, der Bernardo heute folgen will. Wir warten eine Weile, eine halbe Stunde lang, dann geht es langsamer weiter. Stundenlang. Der Wald verwandelt sich in einen Wald, den ich erkenne, Busch, Baum, Grün, er wird still, und Sonnenlicht bricht schräg ein, goldgestreifte Stämme, hoch oben. Kaum merkt man unten, wie sich oben das Licht ändert. Und ich laufe und schaue, und verliere mein Wahrnehmungsvermögen und vergesse mich, wie beim Hören von klassischer Musik. Wieder halten wir irgendwo inne. Das Licht hat sich schon wieder verwandelt, wie spät mag es wohl sein, die Stimmen werden leiser. Weiterlaufen. Der Italiener examiniert Pilze und macht Fotos von fleischfressenden Pflanzen, er probiert Baumrinde und packt Wurzeln in seinen Rucksack, ich kann mich nur voranschleppen durch das unaufhörliche und immer dickere Grün, ich kann mir nichts richtig ankucken und kriege nur wenig Luft, als seien Augen und Lunge von der Feuchtigkeit wie Fensterscheiben beschlagen, und doch ist es eine glückliche Selbstversunkenheit, eben wie beim Hören von klassischer Musik, wo ich dann nicht mitkriege, dass ein neuer Satz angefangen hat.

Tags: On the Road

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