In den letzten Tagen musste ich oft an Ryszard Kapuscinski denken, den dieses Jahr verstorbenen polnischen Reporter und Reiseschriftsteller. Dabei habe ich kaum etwas gelesen, sondern ihn nur im letzen Herbst auf einer Lesung in Rom gehört. Sonntagmorgen im Cinema Farnesina; er hatte bei übersteuertem Mikrophon Gedichte vorgetragen, die anschließend von schlecht gelaunten italienischen Eventchargen mit grünen Schals um den Hals bei nicht weniger übersteuertem Mikrophon in der Übersetzung gelesen wurden. Kein guter Morgen. Erst als es an die Fragerunde kam, begann ein großer alter Mann aufzuleuchten. Wie bescheiden und differenziert er über seine Reisen sprechen konnte und über die Menschen, die er getroffen hat, ohne ins Anekdotenrasseln zu geraten und doch mit ganz feinem Witz. Der Saal wurde still. Ein großer alter Mann erzählte. Und strahlte. Und sagte, dass er sich eigentlich nie getraut hätte, die Leute in den vielen Ländern etwas direkt zu fragen. Das sei ihm unhöflich erschienen und er habe immer lieber gewartet, bis sie ihm selbst erzählt hätten, was sie ihm hätten erzählen wollen, auch wenn das manchmal sehr lange gedauert habe. Er hatte von den Lichtern einer Stadt erzählt, von den Vorzimmern in Präsidentenpalästen, von den verschiedenen Methoden, eine Reportage anzugehen. Ganz ergriffen von der klugen und wachen Zärtlichkeit, die den ganzen Mann umgab, war ich nach Hause geschlichen, mir in Gedanken und dann vorsichtshalber auch noch auf Papier alles ins Stammbuch für Lebensweisheiten eintragend. Und nun fällt es mir wieder ein.
Wenn ich an der Tür einmal kurz Luft hole und für die geballte Aufmerksamkeit wappne, die jeder Auftritt auf der Straße mit sich bringt. Der freundliche Wachmann unten im Hochhaus hat es schon gemerkt und macht aufmunternde Komplimente, sobald er mich sieht. Jeden Tag probieren wir einzelne Wörter und Gesten aneinander aus, manchmal klappt es, manchmal nicht, dann lächeln wir beide schuldbewusst und tun abends so, als sei nichts gewesen.
Wenn ich mich an einem Nasi Goreng–Stand probehalber als Journalistin ausgebe und von einem irgendwie plietsch aussehenden Robert gefragt werde: „Spiegel?“ und ich eine Handbewegung mache, die ein einigermaßen niedrigeres Level andeutet. Er rückt trotzdem näher, schreibt mir wichtig seine verschiedenen Nummern auf und sagt, er könne mir Geschichten erzählen über „Indonesian law“, die mir die Haare zu Berge stehen lassen würden. Er sei nur „doctor for old people“, aber ich würde schon sehen, was er alles wisse.
Wenn ich beim immer noch aufrecht erhaltenem ziellosen Herumspazieren plötzlich auf einem Friedhof stehe. Kaum ist zu erkennen, wo der plötzlich zwischen den Hochhäusern mit Namen wie Rasuna Taman und Puri Casablanca und The Grove her gekommen ist. Die ganze Stadt ist so unübersichtlich, so wenig in Viertel oder Einkommenszonen aufgeteilt, dass jedes Wiedererkennen von was auch immer ein kleines Erschrecken ist. Der Friedhof fängt ganz plötzlich an, hinter ein paar kleinen Nasi-Goreng und Padang- und Kokosmilchbuden, die bewegungslos im Mittagslicht liegen. Ein paar Motorradtaxifahrer genauso reglos daneben im Schatten. Ein Schritt über den Kantstein in den Friedhof hinein. Rust zacht lieve/ Moeder en Oma/ Emma Rarenlewan Montolalu. *Gombong 4. April 1915 † Jakarta 8. Mei 1993. Daneben Binsar Bonifancius Hutabarat 1931-82. Was für Namen. Namen, in denen alles durcheinander geht, was des indonesischen Weges gekommen ist: Holländer und Christen vor allem. Namen auf verrotteten Gräbern, die kreuz und quer gehen und nur aus von der Hitze gesprungenen Erdhügeln und kleinen steinernen Ummauerungen bestehen. Magere Hühnchen von den Hütten nebenan waten mit mir herum, Gras wächst gelb und grau, Unrat liegt herum, Aschehaufen von verbranntem Müll. Die babyblauen und rosa Plastiktulpen auf dem Grab von Yames Hutefea, gestorben 2006, sind der einzige Schmuck. Da erst bemerke ich, dass ich mich in der Christenecke eines viel größeren Areals befinde; der Friedhof windet sich dort entlang, wo er Platz findet, die Hochhäuser schauen von oben, die Essensstände und Hütten des kampong auf Augenhöhe, die Toten bewacht von der Stadt. Plötzlich stehe ich an einer der Höllenstraßen mit gefühlten tausend Spuren und ein Taxifahrer winkt. Ich gehe weiter, nun durch den arabischen Teil, erneut alles kreuz und quer durcheinander, aber die Gräber der Araber von bin und bint sind ordentlicher, auch die Vegetation, in hellorange und dunkelgrün, traut sich was und man kann nur in ungefährer Himmelsrichtung über die Gräber balancieren.
Wenn ich ungläubig angesehen werde, wenn ich eine Auskunft über Busrouten oder Wegstrecken zu bekommen versuche und nur die Antwort „Taksi“ erhalte. Denn eine Weiße geht nicht zu Fuß und eine Weiße fährt nicht mit den Öffentlichen, eine Weiße fährt im Auto. Wofür muss die also Busfahrpläne wissen. The citizens of Kuala Hantu watched him go by. Workless Malays in worn white trousers squatted on the low wall of the public fountain and discussed him. ‘He walks to School. He has no car. Yet he is rich.’ ‚He saves money to be richer still. He will go back to England with full pockets and do no more work.’ ‘That is wise enough. He is no banana-eating child.’ The two old hajis who sat next the door of the coffeeshop spoke together. ‘The horn-bill pairs with his own kind, and so does the sparrow. The white man will say it is not seemly for him to walk to work like a labourer.’ ‘His heart is not swollen. Enter a goat’s pen bleating, enter a buffalo’s stall bellowing. He believes so. He would be like the ordinary people.’ ‘That I will believe when cat have horns.’ (Anthony Burgess, The Malayan Trilogy)