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Indonesia

16. Dezember 2007

INDONESIA | Monday, 17 December 2007 | Views [694] | Comments [1]

Schon sechs Paar Schuhe ruiniert. Schuhe mit losgetretenen Riemen und losgetretenen Sohlen und abgebrochenen Absätzen, in die das braune Wasser der Regenzeitpfützen eintritt. Weder die Lederschuhe aus Hamburg, noch die Sandalen aus Rom, noch die roten und silbernen Schühchen aus Bandung, noch die Turnschuhe aus Singapur konnten die Kraftprobe mit dem Jakartaer Pflaster bestehen. Abgewrackt allesamt, geben sie Zeugnis von einem aufrichtigen Kampf. Aber nun wird gehumpelt, tapfer zwar, aber chancenlos. Und - die Metapher gleich ausnutzend – ähnlich chancenlos ist gerade der immer neue Anlauf, die Geschichten des Landes zu verstehen: beim Lesen der Bücher und beim Filmesehen. Wie lange es dauert, bis man durch das Dickicht dessen, was man kennt, hindurch ist und anfangen kann, vorsichtig mit dem Finger auf seine Fragen zu zeigen.

Ich lese die Buru-Tetralogie von Pramoedya Ananta Toer, des berühmtesten indonesischen Schriftstellers und verstehe, neben vielem anderen, vor allem das Tempo der Erzählung nicht. Es geht um den Eingeborenenjungen Minke, der um die Jahrhundertwende im Java der holländischen Kolonialmacht seinen Weg als Journalist und Schriftsteller zu machen sucht. Neben dem glücklich machenden Leseerlebnis, alle Vorstellungskräfte anspannen zu müssen, um den japanischen Prostituierten, schwarzen Kämpfern aus Madura, holländischen Backenbartbürokraten und barackenbeheimatete Mischlingsfamilien einer fremden Welt und Zeit folgen zu können, rebelliert die Lesegewohnheit zugleich gegen die enervierende Langsamkeit Minkes, des Ich-Erzählers. Immer wieder kreist er um die gleichen Fragen, immer wieder hat er die gleichen Zweifel, und manchmal ertappe ich mich bei einer Korrekturleserinnendeformation und überlege, welche Sätze man streichen müsste, damit die Erzählung nicht dauernd stecken bleibt. Das hast du dich alles schon mehr als einmal gefragt, Minke, und wir wissen alle schon, dass du der Gute bist, also nu man los. Nur sehr allmählich lassen sich diese immer wiederkehrenden, tastenden Sätze als langsamer Gedankenkreisel ausmachen, auf dem, wie früher auf dem Disneykinderkreisel, die Bilder von Minkes zukünftiger Entwicklung erscheinen und verschwinden und erscheinen und dann erst die Geschichte weiterlaufen lassen. Ein Bildungsroman im Rhythmus’ von drei Schritten vor, zwei Schritten zurück und dann drei Mal im Kreis; jeden Tag muss ich mich neu auf dieses ganz fremde Lesetempo einlassen.

In Jakarta ist Internationales Filmfestival, ich lese das Programm nicht richtig und lande in der Mittagsvorstellung eines indonesischen Films ohne Untertitel. Jakarta Undercover. Ein Nacht- und Großstadtfilm über eine Tabledancerin, die aus Zeit- oder Babysitternot ihren kleinen Bruder in einem Nachtklub versteckt, wo er Zeuge des Mordes an einer Prostituierten wird. Dreiviertel des Films sind die Tabledancerin und der kleine Bruder auf der Flucht vor den drei Mördern, die in einem schwarzen Benz die Jagd aufgenommen haben. Der Film ist schnell und gut geschnitten, voller fantastischer Nachtbilder der glosenden Stadt, ich kann der Geschichte ungefähr folgen und will nun Details deuten. Warum sind zum Beispiel am Anfang im Nachtklub dauernd Zungen zu sehen. Die Tabledancerin leckt die Stange ab, um die sie sich mehr oder weniger verführerisch gewickelt hat, und auch die drei Bösen, die sich hier allmählich sexuell aufgeilen, lassen permanent ihre Zunge über den Bildschirm fahren. Zeichen in einem Land, in dem sich in der Öffentlichkeit nicht geküsst wird, für den moralischen Verfall? Oder Imitation dessen, was im Westen so im Allgemeinen für erotisch gehalten wird? Die Bösen fluchen auf Englisch, fuck, shit, fuck you, fucking shit man, hier kann ich endlich sprachlich folgen. Ergo, das Böse spricht Englisch, oder gibt es auf Bahasa Indonesian keinen äquivalenten Ausdruck für fuck you? Oder sollen die drei, harte Kerle aus dem Geldadel, einfach als besonders cool dargestellt werden? Und warum lacht das ganze Publikum aus vollem Hals, als am Anfang ein Transvestit brutal zusammengeschlagen wird?

Klar ist allerdings, dass von der Polizei keine Hilfe zu erwarten ist. Als die Tänzerin, völlig erschöpft und runter mit den Nerven mit dem kleinen Bruder unter dem erleuchteten Eingang einer „Polisi“-Station ankommt, weigert sich der kleine Bruder, auch nur einen Schritt weiter zu gehen. Stur stemmt er die Beine in den Boden bis die Schwester aufgibt und sie ihre einsame Hetze wieder aufnehmen. Und als einer der Bösen wegen zu schnellen Fahrens von der Polizei angehalten und aus dem Wagen gebeten wird, jubelt das Publikum, als er sich mit der Hand an das rechte Rücklicht tastet, eine Geldrolle hervorzieht und damit den Polizisten sogleich zum Schweigen bringt. Zum Schluss werden die Geschwister nicht von der Gesetzesmacht, sondern von den Medien gerettet. Die Tabledancerin kidnappt eine Reporterin, vor laufender Kamera erzählt sie ihre Geschichte, die Bösen bleiben im Stau stecken, der Übertragungswagen rast davon, sie ist im Fernsehen und gerettet. Ich bin erleichtert über das sich abschließend doch noch so komfortabel anbietende Deutungsmuster; unverdrossen mit roten und silbernen Plastikschühchen gegen fremdes Pflaster anrennend.

Tags: On the Road

Comments

1

Liebe Janika!
Das hört sich ja alles abenteuerlich an! Und tödlich für alle Schuhe! Wohin kann man denn Weihnachtspost schicken (schwarze Tinte auf weißem Papier)?
Ganz liebe Grüße, Deine Anna

  Anna Lent Dec 21, 2007 3:46 AM

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