Rita ist eine
der vornehmen indonesischen Damen der besseren Gesellschaft. Mit getönten
Brillengläsern, teuer frisierten Haaren und einem hochgeschlossenen Batikkostüm
sitzt sie hinter einem deutschen Weihnachtsdekorationshirsch. Deutsch und Englisch gehen ihr, als ehemaliger Stewardess der
PanAm, manchmal durcheinander und doch, das höre ich wie immer erst später,
liegt auch hier ein Teil der Geschichte. Rita setzt sich in Pose: “When I was in Germany many years ago, I lived
in a very small village. In Buxtehude. Very small village. Da hab ich zu
meinem Mann gesagt, also entweder ich gehe nach Hause oder ich lass’ mich
scheiden. Because I was
stewardess for so many years and suddenly I was there. I didn’t know anybody
and nobody could speak English. And if they saw me on the streets, they always
say: ‘Negerlein, Negerlein’, ja! I am not Negerlein, I said, I come from
Indonesia.”
“It was very difficult in the
beginning”, sagt Rita, “here we have our servants, and there I had to do everything.
I was so exhausted. And then, you know, I am a person that always – I am not a
person that feels sad very quickly. I said, no, I must join something! I join
the Turnverein! With all diese riesigen Frauen, alle dreimal so groß wie ich,
and I am the only brown one. And they put me always in front. In Buxtehude
everybody knew me. Und die grüßen alle mit mir, sogar bei Metzgerei: ‚Na du,
bist du wieder da??’ As you
know, the Indonesian people, they have a speciality that is Pansen. The
Metzger said, ‘Bei uns gibt man Pansen zu den Katzen’. But bei uns not. Und
wenn ich komme, dann sagt der Metzger: ‚Na, du, willst du wieder Pansen? Ich
mach’ das extra sauber für dich!’ Ja, das mach du mal, sag’ ich, hast du ganz
viele Stunden wegen mir zum Totlachen. Also, ich war so bekannt, I always said I am living in a Vogelkäfig. But
you have to be like that. If you always stick together, then you have no
friend. My daughter is married in Munich, to the son of Schreiber, she knows
everybody and she gets along with everybody, so there is no problem at all,
actually. If you know how to get along with the Germans, then it is ok, I
think. But you have to know, ja. If you are afraid of them, you will never get
forward.”
Gekommen auf
der investigativen Spur der deutschen Gemeinde in Indonesien sitze ich im
Stadtteil Kemang zwischen sieben Frauen der deutschen Exilantenorganisation und höre ihre Geschichten an. Hausbesuch bei den Hausmütterchen, hatte
ich, die rasende Reporterin ohne Geld und Status, gedacht, von ihren Männern
mitgeschleift und nun auf der Suche nach Beschäftigung. Forsch Hände schüttelnd
war ich ins weihnachtlich präparierte Wohnzimmer gekommen, eine der riesigen europäischen
Luxushallen in Jakarta, hatte mich an den mit Keksen und Rehen aufgerüsteten
Glastisch gesetzt, Block rausgeholt, Namen aufgenommen, Aufnahmegerät
angeschaltet, können wir das ganze auf Englisch machen, dann ist es für mich später
leichter, erzählen Sie doch mal, was Sie so machen. Langsam hatten sie
angefangen zu erzählen, von ihren Sozialprojekten mit behinderten Kindern, vom
Weihnachtsbasar und den 40 Kilo selbstgebackener Kekse, von ihren Kaffeenachmittagen
für Neuankömmlinge. So hatte ich mir das vorgestellt. Doch nach und nach kommen
ihre Geschichten. Immer wieder unterbrechen sie sich, sprechen natürlich nicht
mehr Englisch, lachen, reden durcheinander, widersprechen sich, fallen sich ins
Wort, ich denke an mein Aufnahmegerät, auf dem man nachher nichts mehr
verstehen wird. Und denke dann nicht mehr an mein Aufnahmegerät, weiß, dass das
alles längst nicht mehr für die Zeitung ist. Sieben Frauen zwischen 50 und 60,
die von ihren Enttäuschungen und Hoffnungen erzählen. Magda, die nach 50 Jahren
im selben Dorf im Sauerland zum ersten Mal ins Ausland gekommen ist und
verlernt zu haben glaubte, wie man neue Freundschaften schließt. Elke, die
überall schon gelebt hat und sagt, beim ersten Mal würde man alles mitmachen
und ansehen und mit allen befreundet sein wollen, aber nun wisse sie, wenn sie
irgendwo hin käme: ich will das und das haben und ich bekomme das, dafür
brauche ich die Sprache nicht. Seit zehn Jahren sei sie hier und immer noch
nicht angekommen. Alle sind froh über die Organisation, die ihnen hilft, ihre
Tage zu füllen.
„Und ich
streite nicht mit meinem Mann“, sagt Magda. „Stellen Sie sich vor, ich würde
hier alleine sitzen, ohne die Gruppe. Der geht morgens um sechs und kommt
abends um sieben. Und deshalb muss ich sagen, find ich’s so toll. Er kommt nach
Hause, er fragt mich, was hast du getan, ich kann sagen, ich hab dies und dies
und dies und dies. Ich brauch nicht sagen, ich war im Liegestuhl und hab mich
gesonnt. Wobei es ihm auch egal wäre. Aber: ich brauch’ nicht soviel reden. Ich
brauch nicht soviel – wenn er kommt, wir können essen, bisschen uns
unterhalten, weil ich einen Ausgleich hab im Leben.“
Meine drei Aufnahmekassetten
sind inzwischen vielfach überspielt, eine Ton- und Geschichtenspur über der
anderen, Stimmen, Sprachen, Situationen, jedes Mal denke ich, dass ich dieses
Gespräch nun aufheben will. Jedes Mal ist es eigenartig und schön, sich ein
Gespräch noch einmal anzuhören, zu hören, wo der andere noch einmal neu
ansetzt, wo die Stimme leiser wird, wo ein Satz plötzlich nicht mehr
weitergeht, ein Lachen, Stimmen, Geräusche im Hintergrund. Zu hören, wo man zu
schnell nachgefragt, den anderen unterbrochen hat, wo der gerade noch etwas
sagen wollte, sich die Worte im Sekundenbruchteil überlagern und das Gespräch dann
eine andere Wendung nimmt. Ich höre die Fehler, das Stocken, als ich die
schüchternen jungen Mitglieder der Umweltschutzorganisation Jakalahari
interviewe, die Ungeduld in meiner Stimme, sie endlich zu einer druckreifen
Aussage zu kriegen. Höre die agile Stimme von Bambang Harimurty, des mit allen
Wassern gewaschenen Chefredakteurs der Wochenzeitung TEMPO, der mich, kaum
hatte ich mein Aufnahmegerät angestellt, munter mit Fragen zu Merkel und den
deutschen Wirtschaftsverhältnissen zu traktieren begann und die politische
Entwicklung in Deutschland diskutieren wollte. Ich höre das Rascheln der hundert
Jahre alten Metropolitan-Magazine, die Stephen, der britische
Joseph-Conrad-Forscher, auf dem Gartentisch ausgebreitet hat, wie er glücklich
„look here, isn’t that fantastic“ sagt, und ich mich noch erinnern kann, dass
es sich um eine besonders kitschige Illustration zum ‚Pflanzer von Malata’
handelte.
Und ich höre,
wie der scheidende Leiter des italienischen Kulturinstituts mit seinem Englisch
kämpft, immer wieder „contribution“ und „collaboration“ sagt, bis ich denke, dass sich mit diesem politisch korrekten Pressemeldungsvokabular für ein
Abschiedsporträt nichts anfangen lässt. Plötzlich unterbricht er sich und
spricht auf Italienisch weiter, weil ihm, wie er sagt, ganz wichtig sei, dass
ich ihn hier richtig verstehen würde. Dann reißt er sich zusammen und versucht es
noch einmal auf Englisch. Es wird seine Abschiedsrede an Indonesien. Ganz
langsam kommen seine Worte, mit starkem Akzent, langen Pausen dazwischen und
einer Intensität, die mir, als ich es mir zwei und drei Mal anhöre, die Tränen in
die Augen steigen lässt: “They are so very
nice people. I learned a great
lesson in Indonesia: of civilization. I like their style when they discuss
about an event. Their harmony, they taught me not to be aggressive as we
Europeans are. They are kind. They take time to introduce their arguments,
believing and insisting with determination, but silently, kindly, respectful.
And not giving you the impression that they are upset, if you cannot do it.
They don’t judge you, they don’t critize you, they like to see where it is
possible to do something together and they are proud if you can collaborate
with them on their proposal. Today I am more patient than before. And sometimes
I tell myself, don’t decide now, give it some time, something I was not able to
do before I arrived here. People here are more free in their minds than I ever was.”