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Indonesia

8. Dezember 2007

INDONESIA | Sunday, 9 December 2007 | Views [510] | Comments [1]

Rita ist eine der vornehmen indonesischen Damen der besseren Gesellschaft. Mit getönten Brillengläsern, teuer frisierten Haaren und einem hochgeschlossenen Batikkostüm sitzt sie hinter einem deutschen Weihnachtsdekorationshirsch. Deutsch und Englisch gehen ihr, als ehemaliger Stewardess der PanAm, manchmal durcheinander und doch, das höre ich wie immer erst später, liegt auch hier ein Teil der Geschichte. Rita setzt sich in Pose: “When I was in Germany many years ago, I lived in a very small village. In Buxtehude. Very small village. Da hab ich zu meinem Mann gesagt, also entweder ich gehe nach Hause oder ich lass’ mich scheiden. Because I was stewardess for so many years and suddenly I was there. I didn’t know anybody and nobody could speak English. And if they saw me on the streets, they always say: ‘Negerlein, Negerlein’, ja! I am not Negerlein, I said, I come from Indonesia.”

“It was very difficult in the beginning”, sagt Rita, “here we have our servants, and there I had to do everything. I was so exhausted. And then, you know, I am a person that always – I am not a person that feels sad very quickly. I said, no, I must join something! I join the Turnverein! With all diese riesigen Frauen, alle dreimal so groß wie ich, and I am the only brown one. And they put me always in front. In Buxtehude everybody knew me. Und die grüßen alle mit mir, sogar bei Metzgerei: ‚Na du, bist du wieder da??’ As you know, the Indonesian people, they have a speciality that is Pansen. The Metzger said, ‘Bei uns gibt man Pansen zu den Katzen’. But bei uns not. Und wenn ich komme, dann sagt der Metzger: ‚Na, du, willst du wieder Pansen? Ich mach’ das extra sauber für dich!’ Ja, das mach du mal, sag’ ich, hast du ganz viele Stunden wegen mir zum Totlachen. Also, ich war so bekannt, I always said I am living in a Vogelkäfig. But you have to be like that. If you always stick together, then you have no friend. My daughter is married in Munich, to the son of Schreiber, she knows everybody and she gets along with everybody, so there is no problem at all, actually. If you know how to get along with the Germans, then it is ok, I think. But you have to know, ja. If you are afraid of them, you will never get forward.”

Gekommen auf der investigativen Spur der deutschen Gemeinde in Indonesien sitze ich im Stadtteil Kemang zwischen sieben Frauen der deutschen Exilantenorganisation und höre ihre Geschichten an. Hausbesuch bei den Hausmütterchen, hatte ich, die rasende Reporterin ohne Geld und Status, gedacht, von ihren Männern mitgeschleift und nun auf der Suche nach Beschäftigung. Forsch Hände schüttelnd war ich ins weihnachtlich präparierte Wohnzimmer gekommen, eine der riesigen europäischen Luxushallen in Jakarta, hatte mich an den mit Keksen und Rehen aufgerüsteten Glastisch gesetzt, Block rausgeholt, Namen aufgenommen, Aufnahmegerät angeschaltet, können wir das ganze auf Englisch machen, dann ist es für mich später leichter, erzählen Sie doch mal, was Sie so machen. Langsam hatten sie angefangen zu erzählen, von ihren Sozialprojekten mit behinderten Kindern, vom Weihnachtsbasar und den 40 Kilo selbstgebackener Kekse, von ihren Kaffeenachmittagen für Neuankömmlinge. So hatte ich mir das vorgestellt. Doch nach und nach kommen ihre Geschichten. Immer wieder unterbrechen sie sich, sprechen natürlich nicht mehr Englisch, lachen, reden durcheinander, widersprechen sich, fallen sich ins Wort, ich denke an mein Aufnahmegerät, auf dem man nachher nichts mehr verstehen wird. Und denke dann nicht mehr an mein Aufnahmegerät, weiß, dass das alles längst nicht mehr für die Zeitung ist. Sieben Frauen zwischen 50 und 60, die von ihren Enttäuschungen und Hoffnungen erzählen. Magda, die nach 50 Jahren im selben Dorf im Sauerland zum ersten Mal ins Ausland gekommen ist und verlernt zu haben glaubte, wie man neue Freundschaften schließt. Elke, die überall schon gelebt hat und sagt, beim ersten Mal würde man alles mitmachen und ansehen und mit allen befreundet sein wollen, aber nun wisse sie, wenn sie irgendwo hin käme: ich will das und das haben und ich bekomme das, dafür brauche ich die Sprache nicht. Seit zehn Jahren sei sie hier und immer noch nicht angekommen. Alle sind froh über die Organisation, die ihnen hilft, ihre Tage zu füllen.

„Und ich streite nicht mit meinem Mann“, sagt Magda. „Stellen Sie sich vor, ich würde hier alleine sitzen, ohne die Gruppe. Der geht morgens um sechs und kommt abends um sieben. Und deshalb muss ich sagen, find ich’s so toll. Er kommt nach Hause, er fragt mich, was hast du getan, ich kann sagen, ich hab dies und dies und dies und dies. Ich brauch nicht sagen, ich war im Liegestuhl und hab mich gesonnt. Wobei es ihm auch egal wäre. Aber: ich brauch’ nicht soviel reden. Ich brauch nicht soviel – wenn er kommt, wir können essen, bisschen uns unterhalten, weil ich einen Ausgleich hab im Leben.“
Meine drei Aufnahmekassetten sind inzwischen vielfach überspielt, eine Ton- und Geschichtenspur über der anderen, Stimmen, Sprachen, Situationen, jedes Mal denke ich, dass ich dieses Gespräch nun aufheben will. Jedes Mal ist es eigenartig und schön, sich ein Gespräch noch einmal anzuhören, zu hören, wo der andere noch einmal neu ansetzt, wo die Stimme leiser wird, wo ein Satz plötzlich nicht mehr weitergeht, ein Lachen, Stimmen, Geräusche im Hintergrund. Zu hören, wo man zu schnell nachgefragt, den anderen unterbrochen hat, wo der gerade noch etwas sagen wollte, sich die Worte im Sekundenbruchteil überlagern und das Gespräch dann eine andere Wendung nimmt. Ich höre die Fehler, das Stocken, als ich die schüchternen jungen Mitglieder der Umweltschutzorganisation Jakalahari interviewe, die Ungeduld in meiner Stimme, sie endlich zu einer druckreifen Aussage zu kriegen. Höre die agile Stimme von Bambang Harimurty, des mit allen Wassern gewaschenen Chefredakteurs der Wochenzeitung TEMPO, der mich, kaum hatte ich mein Aufnahmegerät angestellt, munter mit Fragen zu Merkel und den deutschen Wirtschaftsverhältnissen zu traktieren begann und die politische Entwicklung in Deutschland diskutieren wollte. Ich höre das Rascheln der hundert Jahre alten Metropolitan-Magazine, die Stephen, der britische Joseph-Conrad-Forscher, auf dem Gartentisch ausgebreitet hat, wie er glücklich „look here, isn’t that fantastic“ sagt, und ich mich noch erinnern kann, dass es sich um eine besonders kitschige Illustration zum ‚Pflanzer von Malata’ handelte.

Und ich höre, wie der scheidende Leiter des italienischen Kulturinstituts mit seinem Englisch kämpft, immer wieder „contribution“ und „collaboration“ sagt, bis ich denke, dass sich mit diesem politisch korrekten Pressemeldungsvokabular für ein Abschiedsporträt nichts anfangen lässt. Plötzlich unterbricht er sich und spricht auf Italienisch weiter, weil ihm, wie er sagt, ganz wichtig sei, dass ich ihn hier richtig verstehen würde. Dann reißt er sich zusammen und versucht es noch einmal auf Englisch. Es wird seine Abschiedsrede an Indonesien. Ganz langsam kommen seine Worte, mit starkem Akzent, langen Pausen dazwischen und einer Intensität, die mir, als ich es mir zwei und drei Mal anhöre, die Tränen in die Augen steigen lässt: “They are so very nice people. I learned a great lesson in Indonesia: of civilization. I like their style when they discuss about an event. Their harmony, they taught me not to be aggressive as we Europeans are. They are kind. They take time to introduce their arguments, believing and insisting with determination, but silently, kindly, respectful. And not giving you the impression that they are upset, if you cannot do it. They don’t judge you, they don’t critize you, they like to see where it is possible to do something together and they are proud if you can collaborate with them on their proposal. Today I am more patient than before. And sometimes I tell myself, don’t decide now, give it some time, something I was not able to do before I arrived here. People here are more free in their minds than I ever was.”

Tags: On the Road

Comments

1

Guten Morgen, oder Mahlzeit, oder was immer es auch bei Dir ist!
Ich sitz hier grade bei Ingrid und habe ihr Deine weiteren Bericht ausgedruckt. Hab leider noch keine Zeit zum Lesen gehabt, es hat aber schon beim "drüberschauen" schon wieder sehr spannend geklungen.
Leider funktioniert derzeit Ingrids Mail nicht und ich weiß noch nicht ob ich ihr das mit dem Blog lernen kann.
Sie bedankt sich jedenfalls für Dein Mail und bedauert, dass ihr langer, handgeschriebener Brief verloren ging [sowas wird ja wirklich bald einen Seltenheitswert bekommen! Anm. d. Verf.(nicht das verlieren!)]
Aber sie freut sich, dass Du 24. Jänner kommst. Ich auch! Würde mich sehr freuen, wenn wir da ev. auch wieder mal zusammenkommen könnten!
Alles Gute von West nach Ost!
Oskar

  Oskar Dec 10, 2007 5:40 PM

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