In einem Magazin las ich vor paar
Wochen von einem britischen Anthropologen, Lawrence Blair, der von seinen
Landsleuten sagte: „das ist mein Clan, und ich verstehe sie“. In Ermangelung
anthropologischen Vokabulars, hatte ich das für humorig gehalten, bis ich es
mit der deutschen Botschaft zu tun bekam. Nach Sperren und
Unterschriftprozeduren, Waffenkontrolle, Abgabe von Pass und Handy, sitze ich schließlich
dem Botschafter und seiner Pressefrau gegenüber und weiß auf einmal, was er
meint. Vielleicht wäre das Gefühl nicht so stark gewesen, wenn nicht mein
indischer Chef vom Auslandsdepartment dabei gewesen wäre, der eine
Viertelstunde zu spät hereingestürzt kam, von uns drei Deutschen missmutig
betrachtet. Vor jedem Satz sagt er „Your Excellency“, während ich – instinktiv?
den Regeln meines Clans zufolge? schlechtes Benehmen? - auf jede Anrede verzichte, und
nichtsdestotrotz oder vielleicht gerade weil wir Englisch sprechen, komme ich
nicht gegen das Gefühl an, dass wir uns kennen, der Botschafter, seine Pressefrau
und ich. Im Geheimen sprechen wir deutsch. Im Geheimen befinden wir uns in
einer Art Herausforderungssituation, vielleicht weil die Hierarchieverhältnisse
nicht so klar sind, wie sie es in Deutschland wären. Im Geheimen können wir uns
wahrscheinlich auch nicht leiden, dennoch bekomme ich am nächsten Tag eine
Einladungskarte mit Bundesadler in die Redaktion geschickt, auf der der Baron
und die Freifrau mich und meinen Partner zum Weihnachtsempfang bitten, uAwg.
Ich verstehe die Regeln also doch nicht. Was soll das denn, frage ich den Italiener,
die mochten mich nicht und haben sofort geschnallt, dass ich ein ganz kleines
Licht bin. Ist doch klar, sagt Sergio, die wollen dich im Auge behalten,
„guardare un po’ cosa stanno facendo i loro polli.“ Das wird offensichtlich,
als ich im Anschluss an das Interview nicht nur ein Porträt des Botschafters,
sondern auch einen Artikel über die bilateralen Beziehungen zwischen
Deutschland und Indonesien zu schreiben versuche. Die Deutschen wollen den
Artikel sehen. Die Deutschen fangen an, darin herumzukorrigieren, meinen
Satzbau, meine Aussagen, die Zitate des Botschafters, bis mein Chef sagt, ok,
then we are not going to publish it, we are not making propaganda for Germany.
Ich übe mich also im Armdrücken mit der Pressefrau, sage einen deutschen Satz,
den ich immer schon mal sagen wollte – „Sie machen Ihren Job, ich mache meinen“
- und werde das Gefühl nicht los, dass
alles einfacher wäre, wenn wir nicht dem gleichen Clan angehören und im
Geheimen verstehen würden, wie der andere tickt.
Der Weihnachtsmarkt einer
deutschen Exilantenorganisation hingegen stellt die umgekehrte Erfahrung
bereit, den eigenen Clan plötzlich mit den Augen des Fremden zu sehen. Am
feinen Hotel Aryaduta ankommend, in dessen erster Etage der Weihnachtsmarkt
sich über mehrere goldplissierte Räume erstreckt, wird mir bewusst, seit
Monaten keine Deutschen mehr gesehen zu haben. Überrascht setze ich mich
erstmal auf die Eingangstreppen, sehe sie mir an und mache Notizen. Allein die
physiognomische Zugehörigkeit kommt als ein Schock daher, der Wiedererkennungseffekt,
ganz ohne das Dicke, Weiße und Rote der Tourismusklischees, hier ist eine
andere Schicht am Start. Eine Schicht, die genau genommen die Regeln der
indonesischen Middleclass übernommen hat: silbrige Toyotavans kommen
vorgefahren, die deutschen Familien steigen mit ihrer indonesischen Nanny aus,
und nicht mal das kann ich ihnen als kolonialistisches Gehabe ankreiden, weil
jede nur einigermaßen besser gestellte indonesische Familie solche Nannys hat. Auf
dem Weihnachtsmarkt verzogene Bratzen, die durch die Gänge des Luxushotels
rasen, der Satz eines vorbeitobenden Elfjährigen bleibt haften: „I know this
place, there’s another door over here“. Sie wechseln unbewusst zwischen
Deutsch, Englisch und Französisch, haben weiße Hemden an und ihre internationalen
Freunde mitgebracht; wie wachsen sie auf, diese Kinder meines Clans. Frauen,
die rauchen. Deutsches Marzipan, deutsche Weihnachtskekse, deutsche Preise und
Adventskränze und tatsächlich der Geruch von Bratwurst und Glühwein. Im großen
Saal mit langen Holzbänken und Weihnachtsmarktdias aus Leipzig oder Dresden an
der Wand bleibe ich einen Moment stehen: auch die Form des Zusammenseins ist
eine andere, es ist laut, es herrscht Bierzelt, freundlich, zivilisiert, aber
dennoch eine Geselligkeit, von der ich auf einmal nicht erklären könnte, wie
sie eigentlich funktioniert.