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Indonesia

23. September 2007

INDONESIA | Monday, 24 September 2007 | Views [628] | Comments [2]

Zunächst war ich stolz gewesen, an der Seite von Titis, einer der Volunteers, durch das Viertel am Pulomas Barat zu gehen. Ich hielt zwar das Wörterbuch in der Hand und wir wollten nur kurz an einem der kleinen Stände etwas fürs Abendessen kaufen, aber es bedeutete doch offensichtlich, dass ich nicht einfach nur eine sich verlaufen habende Touristin sei, sondern Einheimische kenne und mit ihnen in der Abenddämmerung nach Ende des Ramadan unterwegs wäre, wie alle anderen auch. Es stellte die ersehnte kleine Überquerung der Grenze dar, die die immer wie in einer Blase sich bewegenden Touristen -  abgeschlossen durch aufgefaltete Stadtpläne, dicke Turnschuhe und Sprachunkenntnisse – von den anderen trennt, von denen, die in diesen Straßen einen Ort haben, sich auskennen.

Aber so war es natürlich nicht. Die Aufmerksamkeit hatte sich nicht, wie ich mir, huldvoll nach allen Seiten lächelnd, einredete, zum Willkommen heißenden Angestarrtwerden verwandelt. Es blieb das Anstarren meiner weißen Haut, und erst nach einer Weile merkte ich, wie unangenehm das für Titis war. „You got a lot of fans out here“, sagt sie, als die Aufmerksamkeit der in den Hauseingängen Sitzenden und der bei unserem Vorbeigehen ihre Spiele unterbrechenden Kinder uns wie eine dichte Wolke umgab und nicht mehr zu ignorieren war. A lot of fans. Das ist es leider auch nicht. Es ist die beiden Seiten jedes Mal wieder aufs Neue schlagartig bewusst werdende Erkenntnis, mit etwas anscheinend völlig Fremdem konfrontiert zu werden, und jedes Mal wieder und innerhalb eines Sekundenbruchteils entscheiden zu müssen, wie damit umzugehen sei. Lächeln, ausdruckslos bleiben, hello mister, grüßen, nicht grüßen, den Nachbarn bescheid geben, ins Haus hinein rufen, starren. Und: lächeln, ausdrucklos bleiben, hinter der Sonnenbrille verstecken, grüßen – salam aleikum, selamat malang -, nicht grüßen, Kopf hoch, Kopf runter, ignorieren, lachen. Gar nicht so einfach, wenn man nicht kapiert, was an einem selbst so besonders sein soll, dass die ganze Straße innehält und sich gleichzeitig nur mit Mühe davon abhält, die anderen hemmungslos anzustarren. Eigentlich eine schöne Ausgangslage: Ins gegenseitige Anstaunen vertieft sein. Wenn damit nicht die offensichtliche Notwendigkeit einer Entscheidung einhergehen würde, die Notwendigkeit, sich sogleich verhalten zu müssen.

Auf dem ersten Wochenendausflug nach Labuan, nach Carita, an der Westküste von Java, kommen Sergio und ich aus dem Reden darüber kaum heraus. Es ist die Hauptherausforderung nach der Busfahrt bei offenen Türen durch Stau, Geschrei und Reisfelder, an allen Ansichten vorbei, die ich gerne haben wollte (Sümpfe, Hügel, Palmen- und Bambuswälder, Mangobäume, Melonenstände), bis nach Labuan. Hier stürmt eine Horde den Bus und während Sergio gerührt noch was von netten Schulkindern sagt, die offensichtlich nach Hause wollen, begreifen wir, dass sie uns meinen: die Motorradtaxi- und Kleinbusfahrer, die uns nach Carita bringen wollen. Carita, Carita, jubeln sie uns ins Ohr und greifen nach unseren Oberarmen. Carita, Carita: wie der Name einer Urlaubsliebe, geschmettert im Refrain des albernen Sommerhits einer Saison. Carita, Carita, schon sind wir alarmiert. Es ist die Einleitung zu jener berühmten Touristengeschichte, jene alte Geschichte vom wandelnden Bankomat: belagert von Uhrenverkäufern im Bus, versuchsweise betrogen vom Ticketverkäufer, belagert und versuchsweise betrogen von den Kleinbusfahrern, schließlich am doch noch erreichten Strand verfolgt von Masseusen und Obstverkäuferinnen. Jene Geschichte also, die die Empörten sich so gerne erzählen, mit landesspezifischen Variationen und immer gleich langweilig. In Wahrheit bin ich ja auch schwer empört, schlimmer noch: im tiefsten Menschsein gekränkt, dass mich da tatsächlich jemand betrügen wollte; und vielleicht ist es das Bewusstsein für die Langeweile mehr noch als die Unangemessenheit solcher Geschichten, die das Weitersuchen herausfordern nach dem, was hinter dem so irritierenden Einbruch in die räumliche Distanzzone des „Nein, danke“ liegt. Nein danke: keine Uhr, kein Handtuch, keine in Plastik eingeschweißten Koransprüche, kein Käppi, keine Ramadansüßigkeiten, kein Wasser, keine Eier, keine Cracker, kein Motorrad. „Nein, danke“ als irgendwie anerzogenes und nun immer gleich artikuliertes Distanzschaffen, gepaart mit der ähnlich internalisierten Sparsamkeit und Bescheidenheit, man könne und solle schließlich nicht alles kaufen, was einem unter die Nase gehalten wird. „Nein, danke“ als der Entschluss, sich dem Stress nicht aussetzen zu wollen, den ein Ja-Sagen mit sich brächte.

Am leeren Strand unter Palmen, vor uns der flachen und grauen indischen Ozean, der mit aus Holz konstruierten Fischerinseln wie mit Hütchen besetzt ist, schlage ich Sergio vor, dass wir nun einfach alles kaufen und alles mitmachen, was uns angeboten werde. Mit diesem drögen und spielverderberischen „Nein, danke“ machen wir, das ist offensichtlich, auf die Dauer weder uns noch die anderen glücklich. Zu dem Zeitpunkt sind der Ausgestopfte-Reptilien-Verkäufer und der Tätowierer und die Saronghändlerinnen schon vorbei, aber die Obstverkäuferinnen und die Masseusen und die Männer mit den Wellenreiterbrettern kommen wieder. Auf so einem Wellenbrett die Kraft des Wassers am eigenen Körper austesten, sich an den Strand treiben und von der Strömung wieder zurückziehen lassen, die Beine über die kleinen Muscheln und den Sand gezerrt fühlen, von großen Wellen überschüttet und dann wieder von kleinen Wellen umschmeichelt werden und über dieses reflexartige „Nein, danke“ nachdenken. Als könne man auch hier mir nichts dir nichts markieren, was man damit zu markieren gewöhnt ist: das Bedürfnis, in Ruhe gelassen zu werden. Salzwasser und Sonne über meinem Schädel: Wie albern ist das denn, bitteschön. In Ruhe gelassen werden kann ich in der Ossastraße 44 in Berlin, hier ist die Vorstellung von meiner Ruhe eine andere. Und die hat mit Obst kaufen und massiert werden zu tun. Also kaufe ich Ananas von einer uralten Frau mit gläsernen Augen, wir verhandeln ein bisschen pro forma, dann hat sie einen Preis, der ihr für mich angemessen erscheint und ich einen Preis, der für deutsche Verhältnisse gering ist, und wir finden beide, dass wir einen guten Deal gemacht haben. Und dann lasse ich mich massieren von zwei jungen Frauen, Rati und Ersi, denen ich vorher zweimal gesagt hatte, ich würde lesen und nicht massiert werden wollen. „Massage when book finished?“, hat Rati gefragt, auf mein halb gelesenes Alice Munro Paperback gedeutet und dann im Schatten geduldig gewartet. Lesen, um nicht massiert zu werden? Wie albern ist das denn, bitteschön. Ich verhandele ein bisschen pro forma, weil man das vielleicht immer so macht. Aber sie lassen sich nicht darauf ein, beharren auf ihrem niedrigen Preis und so transformiere ich schnell, um es wieder gut zu machen, Sergio zu meinem missgünstigen Ehemann, von dem ich das Geld erst erbitten muss. Eine Stunde lang massieren sie mich dann im Schatten am Strand, und fast noch schöner als das Gefühl des langsam sich entspannenden Körpers ist ihr leises Reden und Lachen über meinen Kopf hinweg. Ersie ist 28 und hat zwei vier und sieben Jahre alte Söhne, Rati 31 und hat ebenfalls ein Kind. Dass ich keine Kinder habe, können sie nicht verstehen, und erst als ich entschuldigend auf den missgünstigen Gatten deute, der stur in sein Buch vertieft ist, lachen sie und streicheln mir über den Kopf. Die Kinder sind bei Ersies Mutter, ihr Mann arbeitet auch, als Wellenbrettvermieter und Motorbootfahrer, aber die Saison sei nicht gut, „You, Jani, today first business“. Tatsächlich ist der Strand leer, nur zwei weiße Pärchen, sich alle an den Händen haltend und nicht nach rechts und links schauend, waren gemeinsam ins Meer gestapft und gemeinsam wieder heraus und dann verschwunden. Die Mädchen reden und lachen, andere hocken sich kurz mit ihren Körben oder um den Kopf geschlungenen Massagetüchern dazu, auch jenen Singsang muss ich schon gekannt haben, aus dem Wohnzimmer heraus, wenn Licht durch die Türe fällt und die Erwachsenen noch reden, während man selbst schon im Bett liegt und schlafen soll. Ich merke, dass sie mich ein bisschen bemitleiden: wegen Sergio, wegen der Kinderlosigkeit, wegen meiner Unselbständigkeit in Gelddingen und, ein wenig allgemeiner, weil wir als Wochenendpärchen aus Jakarta hier nur so vorbeikommen, nichts richtig mitkriegen, nichts richtig verstehen können. Ich wiederum weiß, dass das nicht alles die richtigen Prämissen sind und bin doch, als wir nach der Massage noch ein bisschen im Sand sitzen und ein ganz Weniges reden, als sie dann nebeneinander her pendelnd langsam über den Strand davon gehen, noch einmal winken, immer kleiner werden und schließlich verschwinden, irgendwie erleichtert, im Körper ohnehin, aber noch darüber hinaus, glücklich, als sei etwas gelungen.  

Tags: On the Road

Comments

1

Qualche frase più semplice che anche io riesco a leggere?
baci
letizia

  letizia Sep 27, 2007 2:49 AM

2

Ciao Letizia,

hai ragione! Mi impegnerò. E poi lo devi tradurre tutto quanto in italiano per tutti quelli che non hanno fatto progressi così veloci come te....:-)
Bacio
Janika

  janika_gelinek Sep 27, 2007 7:06 PM

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