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Indonesia

20. September 2007

INDONESIA | Thursday, 20 September 2007 | Views [586]

Sergio und ich haben eine Wohnung. Nicht mehr das Zimmer der ersten Nacht in einer Art Jungendherberge (haben sie das Schild Youth Hostel nicht vielleicht ganz alleine über dem Eingang angebracht), das zum Gang hin offen war und in dem ein randalierender Ventilator die Ankunft in den Tropen verkündete und wo im Atrium eine Wasserschildkröte bewegungslos durch die Scheiben ihres Aquariums blickte. Nicht mehr das Zimmer der zweiten und dritten Nacht im Cemara-Hotel: einer Art alternativen Tagungsort mit Holz und Kunst in allen Stockwerken, in dessen Atrium wiederum ein hoffnungsvolles Erfurter Künstlerduo namens Nuttenkinder verschwommene „Küsse“ ausstellte. Nicht das Zimmer der dritten, vierten, fünften und sechsten Nacht im Haus am Pulomas Barat IX, dessen riesige Halle schon die ausgerollten Schlafsäcke der Aktivisten erahnen ließ und dessen Nachbarn mit einer so an Täglich grüßt das Murmeltier gemahnenden Regelmäßigkeit ihren morgendlichen Verrichtungen nachgingen, dass Sergio ohne auf die Uhr zu kucken „Und jetzt schreit gleich das Baby, es muss halb sieben sein“ sagte. Sourch.18, Rasuna, Kuningan, Hdp., Saharjo, 1km, 49m², Lt.29, Baru, 2AC, Furnish. stand in der Anzeige im Kompas von Jumat, 14 September 2007. Außer Furnish und 49m² waren und sind alles unbekannte Chiffren, aber dass es nicht groß sei, müsse heißen, dass es nicht so teuer sein könne, so unsere erste Überlegung, und zweitens haben wir Kuningan als einen der wenigen Stadtteile ausgemacht, in dem wir unsere Arbeitsorte innerhalb einer Stunde erreichen könnten. Tower 18 ist gerade fertig geworden, das heißt: fast. Im Haus wischt und bohrt und bohnert es, und auf dem Weg nach unten teile ich mit 14 verschwitzten indonesischen Bauarbeitern den Aufzug, die mich missbilligend anlächeln, auf den abgesprungenen Knopf von Sergios Oberhemd kucken und passenger elevator murmeln. Maaf banyak, sage ich, Entschuldigung viel.

Mittlerweile wissen wir, dass Rasuna eine ganz neu für die indonesische Uppermiddleclass entstehende Hochhaussiedlung ist, mit integriertem Wachpersonal und Einkaufsmall, also das, wo wir bestimmt niemals je hinziehen würden. Aber Lt. 29 heißt 29. Stockwerk und 29. Stockwerk heißt von Tisch und Bett aus einen Blick über tausende rote Dächer, heißt der über der Stadt anschwellende Gesang der Muezzine bis hierher zu mir an den Glastisch, an dem ich bei offenen Balkontüren schreibe. Furnish sind rosa Plastikblumen in geblümten Vasen, ein dazu passendes Sofa, geraffte Himmelbettgardinen an den Fenstern und zwei Kochplatten, Kacheln auf dem Fußboden und ein ernstzunehmender Couchtisch. Irgendwas von den anderen Kürzeln heißt, dass man bis zur nächsten Busstation quer durch die Siedlung laufen muss, dass es außer dem seltsam leeren Mall mit Handtaschenläden und ranzigen Nasi-Goreng-Vitrinen keine Einkaufsmöglichkeiten gibt und dass der angrenzende Stadtteil mit einem soliden Stacheldraht uns vom Leib gehalten wird. Ein Fort der Moderne, das auf der einen Seite begrenzt ist von einer Mauer, auf der anderen von einem Fluss, dessen Ufer dicht mit Bambus bestanden sind und dessen einziger Eingang von einer Polizeistation bewacht ist, an dem die Kofferräume der Autos aufgemacht werden und Uniformierte mit Spiegeln um die Wagen herumgehen. All das ist allerdings nur halb ernst gemeint, da man zwar keine Bombe im Kofferraum transportieren, aber ein Maschinengewehr auf den Knien halten könnte, auch darf jeder in den Hotelturmblock hinein und die anfangs zu intim erscheinende Frage 'Where are you going?' ist ein auch auf der Straße artikulierter indonesischer Gruß für ausländisch Aussehende. Ich sage also djalang-djalang, spazieren, oder pulang, nach Hause, und verschwinde trotz allem auf die Straße.

Nach ein paar ebenfalls im Konstruktionszustand befindlichen Tennisplätzen und einem verlassenen Markt treffe ich auf die kleinen Buden des Straßenlebens, die, wie fast überall, während des Ramadans mit Rücksicht auf die den Tag über Fastenden verhängt sind. Ich betrete ein Padang-Restaurant, das geöffnet aussieht und indem zwei Mädchen Kartons für das Take-away zusammen tackern. Aus einer Fliegen umschwärmten Vitrine wähle ich bekannte und unbekannte Farben und Formen, setze mich an einen der von kleinen Katzen umlagerten Tische, wasche mir die rechte Hand in dem dafür bereit gestellten Schüsselchen und fange an zu essen. Anda dari mana?, woher kommst du, fragt mich ein Mann, der mit seiner Frau bei den Kartons tackernden Mädchen sitzt. Jerman, sage ich mit fettigen Fingern. Und da strahlt Flora D. Nainggolan. Flora spricht deutsch. Denn sie hat 1980 in Wien eine Friseurausbildung gemacht und im 19. Bezirk bei einem Anwalt gewohnt, in der Peter-Jordan-Straße. Einmal mehr schafft mir mein österreichischer Vater Freunde. Ich erzähle ihr, dass meine Tante dort ganz in der Nähe wohnt, im 18. Bezirk. Ob sie den Türkenschanzpark noch erinnere? Unter staubigen Zeltplanen, umgeben von Katzen und Fliegen in Central Jakarta lassen wir Wien auferstehen und dabei bin ich so konzentriert, dass ich nicht richtig mitkriege, was ich esse: ist das etwa Zunge, das schwarze, gummiartige?  Flora D. Naiggolan lächelt und sagt, dass sie gerne wieder einmal nach Wien fahren würde, sie sei nun schon seit 27 Jahren wieder in Java und habe seitdem kein Deutsch mehr gesprochen. Sie will wissen, wo wir wohnen („im Tower 18? Wird der nicht noch gebaut?“) und  wie viel Miete wir bezahlen und wie die Wohnung ausgestattet ist: Waschmaschine, Kühlschrank? Ich kaue auf der Zunge herum und versuche, souverän zu antworten. Dann legt sie ihre Visitenkarte auf den Holztisch: Flora D. Nainggolan. Marketing. Blessing Hills Family Resort, Java Timur. Ich solle sie anrufen, wenn ich Hilfe brauche oder mal nach Ost-Java käme. Dann steht sie im Eingang, den Vorhang in der Hand, ihr Mann kommt im silbernen Toyota-Van vorgefahren: „Viel – “ , sagt sie und hält inne, „viel – “. Glück?, schlage ich in eigenem Interesse vor, Spaß, Gesundheit, Freude? „Spaß“, sagt sie, „Spaß, das war es“. Und ist verschwunden.  

Tags: On the Road

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