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Indonesia

19. September 2007

INDONESIA | Thursday, 20 September 2007 | Views [420]

Nach einer Woche dominiert noch immer die physische Überwältigung vor jedem anderen Eindruck, und ich frage mich, warum ich eigentlich so wenig aushalte. Sind die 30° Hitze und 54% tropische Luftfeuchtigkeit, deren Konsistenz und Konstanz ich jeden Tag in der Jakarta Post studiere, für einen mitteleuropäischen Organismus wirklich kaum zu verkraften. Nein, das ist es nicht, ich muss ja nur an norddeutsche Winter denken, um meinen Ärger über die mitgeschleppten Pullover reinsten Herzens zu genießen. Vielleicht ist es also zuallererst der Verkehr, der mittelalterlichen Höllendarstellungen in seiner grauenerregenden Dimension so nahe kommt, dass mir der Linksverkehr zuerst überhaupt nicht auffiel. Wehmütig erinnere ich mich an launige Urlaubsbeschreibungen aus Italien, dass – Madonna, che traffico! - der Verkehr in Rom oder Neapel so wüst sei. Anfänger sind sie, die Italiener, Dilettanten gegen das, was hier auf den Straßen unterwegs ist. Aus dem Taxifenster heraus studiere ich die Termitenschwaden der Motorradfahrer, die sich schwarz um die Autos herumballen, entweder bis zu den Augen vermummt oder schutzlos dem Inferno ausgeliefert, so wie die kleinen Mädchen und Jungen, die vor und hinter ihren Vätern auf den Maschinen sitzen und deren zarte nackte Beine im Scheinwerferlicht der nachfolgenden Maschinen herunterbaumeln. Ganze Familien sitzen so hintereinander auf dem Motorrad, die Kinder klammern sich an die Schultern des Vaters oder ans Lenkrad, ein Mädchen trägt einen Computer und hält sich an ihrem Freund fest, Tüten und Taschen hängen an allen Seiten herunter. Wenn der Verkehr zu dicht wird und selbst die Motorradfahrer nicht mehr durchkommen, dann brechen sie aus auf den Gehsteig, dann fahren sie die Fußgängerüberführungen hinauf und überqueren die Straße im Nachthimmel. Auf der Straße bleiben die großen metallisch funkelnden Toyota-Vans: das Auto derer, die sich mehr als ein Motorrad leisten können. Sie schieben sich als eine Kolonne mit verspiegelten Scheiben voran, in der man kein einziges Gesicht erkennt. Eine Bettlerin mit grauen Haaren und Dreiviertelhosen schlurft an den an einer Ampel röhrenden und transpirierenden Kolonnen vorbei, sie hält die Hand ausgestreckt und den Kopf gesenkt, und nun erst kann man die wahre Größe der Maschinen erkennen, denn ihr Kopf reicht nicht mal an den unteren Fensterrand. Niemand sieht sie und sie sieht niemanden, auch wenn sie manchmal auf Verdacht vor einem der dunklen Fenster stehen bleibt. Und sonst gibt es nichts: Motorräder, die Toyotamaschinen, arme Fußgänger.

Und zu Fuß gehen ist, das lerne ich nur sehr langsam, weil ich es nicht lernen will, schier unmöglich. Es ist nicht vorgesehen und auch nicht möglich, weil es dem Körper buchstäblich zu viel abverlangt. Vielleicht ähnlich dem gelblich verblichenen Rasenstreifen neben einer Flugzeuglandebahn, vermittelt einem der Gehsteig sofort das Gefühl, dass man hier nicht richtig ist. Der Verkehr, für den ich ganz neue Geräuschadjektive erfinden will, rast einem entgegen oder in den Rücken, dazu die sich aus dem Verkehr herauslösenden Motorradfahrer und die vollkommen unvermittelt sich im Beton auftuenden Löcher, die einen direkt nach unten in eine von schwimmenden Plastiktüten und Müllsäcken und Ratten bevölkerte Kloake befördern würden. Natürlich glaubt man nicht wirklich, dass man da hineinfällt. Natürlich glaubt man nicht wirklich, dass man ausgerechnet in Jakarta überfahren wird. Aber die permanent von allen Seiten demonstrierte Möglichkeit des einen und des anderen, ergänzt von den kondensierten Massen übelster Luft und dem unaufhörlichen Krach, verüben eine Gewalttätigkeit an dem ans Flanieren und Spazieren gewöhnten Körper, mit der ich erst noch umgehen lernen muss. Es ist ein buchstäbliches nicht zu Atem kommen, sobald man draußen und auf der Straße ist, die Lunge schmerzt nach einer halben Stunde Fußweg und die Sonne dümpelt hinter den Hochhäusern als eine trübe Apfelsine hinter Schwaden des Smog. Man winkt also immerfort ein Taxi heran, sagt die Adresse, sagt den Stadtteil, sagt die ungefähre Richtung und schaut dann zu, wie auch das Taxt versinkt im kilometerweit sich spiegelnden Blechmeer, eine glühende Eisfläche. Mit roten Stiefeln darüber zu spazieren wie eine Kinderbuchprinzessin, ja, das wär’s.

Auf der Fahrt nach Kota, der verblichenen Halde des alten Batavia, erleben wir dann auch den Leibhaftigen in Gestalt einer Busfahrerin. Sie sieht fein aus, mit leicht im Wind wippenden gestuften Haarspitzen, einem dicken rosafarbenen Lippenstift und Augen verborgen hinter verspiegelten Sonnenbrillen. Und dann fährt sie wie der Teufel. Also nicht wie ein normaler europäischer Autofahrer mit Fluchen, mit Gemurmel zwischen den Vorderzähnen, mit ausgestreckten Mittelfingern und heruntergekurbelten Scheiben. Sie bleibt ganz still, ihr Gesicht bewegt sich nicht und kein Laut kommt aus ihrem Mund. Nur am Bus merkt man die Gewalt ihres Lenkens. Wir rumpeln über Absperrungen, starten, landen, stehen im Stau, schneiden, überholen, bremsen aus, starten und landen erneut. Ganz zum Schluss, als der Bus in die Endhaltestelle Kota eingefahren und endgültig zum Stehen gekommen ist, bleibt sie immer noch still sitzen, dann nimmt sie die Sonnenbrille ab, schließt die Augen und lässt sich mit einem ganz kleinen Seufzer nach vorne auf die immer noch das Lenkrad umklammert haltenden weißen Arme sinken. Ich hatte stundenlang Zeit, das Wörterbuch zu studieren und schenke ihr meinen ersten indonesischen Satz: Supir baik Anda. Busfahrer gut du.

Tags: On the Road

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