Alejandro Iglesias Rossi ist
Dirigent des Indigenous Instruments and Modern Technology Orchestras, das die
Instrumente der Eingeborenenvölker Argentiniens wiederzubeleben bestrebt ist.
Auf der Bühne des Theater Luwas im Stadtteil Cikini toben sechzehn Musiker mit
Palmblättern, Eisenplatten und für den Laien nur schwer als Instrumente zu
identifizierenden Holzkonstruktionen. Ich versuche, in der Dunkelheit Notizen
zu machen und die Fragen zu repetitieren, die ich Herrn Rossi stellen will, der
gerade mit zwei Rasseln eine Art Derwischtanz zur Anschauung bringt. Und
überlege einmal mehr, ob das nun der Fluch oder die Faszination des Berufs ist,
den ich gerade ausprobiere. Von einem Moment auf den anderen mit Dingen und
Menschen konfrontiert zu sein, von denen man nicht nur nicht gedacht hätte,
dass man mit ihnen zu tun bekäme, sondern deren Existenz man zwei Stunden zuvor
noch nicht einmal geahnt hätte. Always be prepared, there is nothing more
embarrassing than not to be prepared hat Bruce gesagt, der Herausgeber des
Wochenendmagazins der Jakarta Post, den ich ein paar Tage zuvor interviewt
hatte. Dabei schob er sich zufrieden ein großes Eigelb von der Frühstücksbar
des Hotels Aniston in den Mund. Aber er, der alle A- und B-Prominenz interviewt
hat, die des indonesischen Weges gekommen ist, und den ich frage, wie man ein
gutes Interview führt, sagt auch, dass man sich dem Gespräch überlassen soll,
kleb nicht zu sehr an deinen Fragen. Vorbereitet sein auf ein argentinisches
Eingeborenenorchester. Sich dem Gespräch überlassen, während fünf kleine
Indonesier neben mir Herrn Rossi ihre Aufnahmegeräte unter die Nase halten. Zum
Glück ist Herr Rossi ein Profi, was man nicht nur daran merkt, dass er
freundlich und geduldig bleibt und man ihm die Anstrengungen des Konzerts kaum
anmerkt: “There is no gap between tradition and creation, we believe that both
go together. Creation without
tradition is like a tree without roots and tradition without creation belongs
to the museum,” sagt er. Und: “The reason that the Orchestra is named
Indigenous Instruments AND New Technologies is because we are children of the
21st century, we have a tradition, but at the same time we have
modern tools, that we can use.” Solche Sätze sind es, die, wenn man sie
sich später anhört und dann einfach so mitschreibt, Herrn Rossi als einen
Public Relations Profi ausweisen. Klare Ansagen, runde Sätze mit
Bildern, unter denen man sich etwas vorstellen kann. Ich füge sie zusammen,
falle todmüde ins Bett und erfahre am nächsten Tag, dass es ein Missverständnis
gegeben und ein anderer Reporter der Jakarta Post schon für die
Berichterstattung des Abends eingeplant gewesen wäre, dessen Artikel nun leider
der Vorrang gegeben werden müsse.
Ein Public Relations Profi ist
auch der britische Botschafter, der den versammelten Journalisten verkaufen will,
dass die Einführung biometrischer Pässe nicht nur kein Problem, sondern eine
ganz großartige Erleichterung für jeden sei, der „the greatest capital in the
world“ oder eine „of the greatest universitites in the world“ besuchen will.
Der schicken Pressemappe mit dem Union Jack entnehme ich, dass ich vor
Identitätsdiebstahl geschützt werden soll, dass ich ab nun sicher sein könne,
dass niemand unter meinem Namen nach England einreisen würde und dass mit Hilfe
der gescannten Fingerabdrücke schon drei falsche Asylbewerber entlarvt werden
konnten. Ich sitze da, denke „ihr verlogenen Schweine“ und überlege mir aggressive
Fragen. Warum England weltweit vorprescht mit der Einführung biometrischer
Pässe. Ob sich England besonders bedroht fühle von Asylbewerbern. Ob
Identitätsdiebstahl tatsächlich eine so gravierendes Problem für Lieschen
Müller aus Indonesien oder anderswo darstellt. Wem denn mit Hilfe der
biometrischen Daten die Einreise verweigert werden würde. Public Relations
Profi auch er, merkt Mark Date, dass ich nicht glücklich bin mit den
Alles-so-schön-bunt-hier-Broschüren der Pressemappe. Mark Date ist der smarte
„Entrance Clearance Manager“, der neben mir steht und unumwunden zugibt, dass
er meine Notizen mitgelesen hätte. Ob er mir vielleicht mit ein paar Antworten
zur Verfügung stehen könne. Das erste Mal führe ich ein Interview mit Wut im
Bauch und auch mit dem Verfolgungswahn, ob er mich nur wegfangen will, bevor
ich diese Fragen in der öffentlichen Pressekonferenz stellen kann. Er
balanciert mit langen soliden Sätzen um jede Falle herum. Allerdings tut er mir den Gefallen und sagt
“Immigration as a whole is there because you do need to protect your borders as
such. But it is also there to try and make sure that we do have the right
people going in.” Ich frage ihn, was denn “the right people” sind. “People that
we want to do business with. People who invest in the UK, adding to its
economy, helping our economy grow as much as any other country would do.” So
Freundchen, und das wirst du morgen in der Zeitung lesen und dann kriegst du
Ärger mit deinem Vorgesetzen, denke ich, noch nicht wissend, dass diese Zeitung
mein ganzes Kunstwerk einer zwischen den Nachrichtenzeilen geschriebenen
Polemik unbekümmert wegkürzen wird. Am nächsten Tag lese ich in meinem Artikel,
dass der britische Botschafter alle Indonesier herzlich einlädt, nach England
zu kommen, und dass die Prozedur der Fingerabdrücke und des digitalen Fotos
kaum Zeit in Anspruch nehmen und keine zusätzlichen Kosten verursachen würde.
Nicht einmal das subtile Prunkstück, wie der Botschafter die blaue und rote
Schleife der Fingerabdrucksbox durchschnitt und dabei sagte „You see, nothing
happens to me and nothing will happen to you“ haben sie mir drin gelassen. 1:0
für Mark Date, den Public Relation Profi, der vielleicht schon wusste, dass
solche Sätze dann doch nicht in der Zeitung stehen.