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Indonesia

12. November 2007

INDONESIA | Tuesday, 13 November 2007 | Views [747] | Comments [2]

Der italienische Botschafter hat zum Abendessen geladen. Sergio kontrolliert, bei welchem Helligkeitsgrad man die Flecken auf seiner Hose erkennen kann, und dann öffnet sich tatsächlich ein Atrium auf einen Swimmingpool und aus dem Halbdunkel einer edlen Couchecke kommen die Gäste des Abends auf uns zu. Ein italienischer Journalist, der gerade für die Weltbank einen Rechercheauftrag in Aceh durchführt. Ein amerikanischer Fulbright-Stipendiat und Videokünstler, der mit einem Tänzer aus Jakarta eine Kohlenstoffperformance zum Klimawandel vorbereitet, und seine indische Frau. Zwei Mitarbeiter der Botschaft. Sergio und ich. Und der Botschafter, der ein schwarzes T-Shirt mit Reisbauernhüten trägt und eine Zigarre im Mundwinkel hängen hat. Seine blutjunge kubanische Frau, die gleichzeitig wie ein Mädchen lacht und ihre Repräsentationsküsschenwange hinhält. Aperitif und Fisch und das Bemühen, die Bestecke richtig zu benutzen. Was soll das alles. Eine Verpflichtung dem Amüsement der italienischen Landsleute gegenüber? Eine Versammlung diffus „interessanter“ Menschen, die sich zufällig in Jakarta befinden? Gelegenheit zum Networking? Der indonesische Diener nähert sich von hinten und flüstert „bianco o rosso?“, der Botschafter schärft seinen Witz am Weltbank-Journalisten, der seinerseits schwindende Haare und schwindende Jugend mit Großkotzigkeit wettzumachen weiß, und das Gespräch hakt sich allen Ernstes an dessen bevorstehender Hochzeit fest und welche Pastoren wann in welchem norwegischen Kaff engagiert worden sind. Einladung generös, Haus grandios, Essen erlesen, Gäste angemessen anregend, und die in den Knochen stecken bleibende Frage, was wir um Himmelswillen miteinander zu schaffen haben sollten.
Einen Tag später, als der Italiener in sein Schlammloch auf Sumatra zurückgekehrt ist, frage ich Eka, die Rezeptionistin der Jakarta Post, wo ich am Wochenende hinfahren soll. Sie strahlt: „Solo! That’s where my husband is from.“ Der Name gefällt mir und so beschließe ich, programmatisch nach Solo zu fahren. Acht Stunden geht es in östlicher Richtung durch Java, durch die dicht besiedelten Landstriche dieser reichsten Insel Indonesiens, vorbei an Reisfeldern, durch die Erntehelfer wie langsame Schwimmer pflügen und auf- und abtauchen, vorbei an Erdnussfeldern und durch schwarze Regenhimmel, aber das wahre Glück ist Ika Ruri. Ika Ruri sitzt neben mir, sie ist Buchhalterin in einer Immobilienfirma am Pasar Baru in Jakarta und mag Gedichte und den indonesischen Rapstar Ika R. Für den Nationalfeiertag schreibt sie manchmal kleine Singspiellibretti für ihre Nachbarschaft, Cinderella, Die Stiefmutter und Schneeweißchen, doch in den letzten Jahren ist sie nicht mehr dazu gekommen, zu müde von einer Arbeit, die ihr sinnlos erscheint. Eine der Zugbekanntschaften also, von denen sich über die Jahre viele kleine Charakterisierungen in Tage- und Notizbüchern angesammelt haben.
Ika Ruri jedoch weigert sich, eine Zugbekanntschaft zu sein, das ist nicht ihr Stil. Sie bleibt in der Wirklichkeit und schreibt mir schon am nächsten Morgen, als ich auf der Hauptstraße von Solo dem Freiheitskampf gegen die Holländer am 12. November 1945 unter Ignatius Slamet Riyadi beiwohne, eine SMS, ob ich nicht nachmittags mit ihr in ihr Dorf kommen wolle. Auf der Hauptstraße manifestiert sich gerade eine Marktszene, Mädchen in Sarongs führen offensichtlich erfundene Hüpfspiele aus, Männer mit Dreck im Gesicht und etwas zu demonstrativ zerrissenen T-Shirts lassen zwei Hähne aufeinander losgehen, Frauen breiten Tücher auf dem Boden aus und verkaufen Gemüse, drei Statisten kringeln mit dem Fahrrad durchs Bild. Die Szene glauben sie sich offensichtlich selbst nicht und das Publikum am Straßenrand grölt vor Begeisterung. Dann kommen Jeeps mit der Kolonialmacht angefahren, mit Holländern also. Diese Holländer haben blonde Perücken auf dem Kopf und ballern wild in die unschuldige Menge. Während auf der Straße so echt wie möglich gestorben wird und kichernde Marktfrauen von der Szene rennen, formiert sich der indonesische Widerstand. Mit weißroten Bandanas im Haar, das Maschinengewehr im Anschlag kommen sie von einem Zug gesprungen, der, dramaturgisch ungünstig, direkt vor der Zuschauertribüne zum Stehen kommt. Aber das ist egal, denn es geht hier weniger ums Zuschauen als ums Dabeisein, und so werden die Holländer kurzerhand mit Handgranaten vernichtet und die Straße verwandelt sich in ein rot-weißes Meer tanzender Männer, die „Merdeka!“, Sieg, schreien. Und hier sind sie ganz bei sich, der Sieg über die Kolonialmacht ist in den gestreckten Körpern und jubelnden Gesichtern 62 Jahre später immer noch sichtbar.
Ene und ihrem Mann hingegen geht es um Tina, ihre zwölfjährige Tochter, die mit ihrer Klasse schon das dritte Mal aufmarschiert ist, um die Nationalhymne zu singen, aber dann jedes Mal aufgrund nicht durchsichtiger dramaturgischer Neuplanungen, wieder abmarschiert ist. Ene und ihr Mann harren aus, kaufen mir ein kleines Essenspaket und nehmen mich immer wieder an der Hand, um zu einem besseren Sichtplatz zu gelangen. Sie sind das Vorspiel oder Exemplarische für eine Herzlichkeit und Großzügigkeit, die mir ein ganzes Wochenende lang den Atem verschlagen wird.
Denn Ruri kommt und holt mich ab in ihr Dorf. Aber es ist kein Dorf. Am Ende einer einstündigen Autofahrt steht vielmehr das zweihundertjährige Elternhaus ihres Vaters. Ringsum Hügel und Wald, Erdnuss- und Mangobäume, Hühner in Harakiri-Sprüngen über der Straße, grüne Wiesen, grüne Luft, grüne Schmetterlinge. Die Terrasse bevölkert mit Blumentöpfen und rauchenden Männern, mit unsichtbaren Bewegungen werden die Sandalen abgestreift bevor man in die Wohnhalle geht. La Mamma, Ibu, die Frau des Hauses: das Gesicht weißgeschminkt, rote Lippen, Schweißperlen zittern über der Schminke wie durchsichtige Perlen, wie Tau, wie Regentropfen, zittern, wenn sie lächelt und bleiben doch an ihrem Platz, ein zusätzlicher Schmuck des Gesichts. Der Vater mit gestutztem Schnurrbärtchen, Goldbrille, riesigen Klunkern an den Fingern, beide sprechen Javanisch und ich bekomme nur durch Ruri mit, was sie wissen oder mir Gutes tun wollen. Beide ruhen in ihrem Stolz, jedes zweite Wort ist „Java“ und jede Anweisung ist darauf bedacht, mir eine Freude zu machen. An einem kleinen Katzentisch bekomme ich aus vielen Schüsseln zu essen, silakhan, silahkan, bitteschön, bitteschön sagt Ibu. Immer wieder werde ich an diesem kleinen Tisch platziert, offensichtlich isst die Familie nicht zusammen, der Vater speist allein im Wohnzimmer, die Männer auf der Terrasse, Ibu für sich vor dem Fernseher. Abends fahren wir hinunter ins Dorf, damit ich Ayam Soto probiere, Hühnersuppe, dazu Tee in kleinen grün emaillierten Kannen, in dem sich riesige Klumpen Zucker auflösen. Ich sage, dass mir diese Kannen gefallen, am nächsten Morgen auf dem Markt werden mir zwei davon erworben, ich mache den zweiten Fehler und kaufe mit Hilfe von Ibu und Ruri einen langen Rock, später kommt Ibu und gibt mir das Geld dafür, denn ich sei ihr Gast und sie wolle mir den Rock gerne schenken. Auf der Terrasse sitzend werden frisch gepflückte Mangos für mich geschält, ich muss entscheiden, welche ich am liebsten mag, dann wird eine große Tüte gepackt, die ich mit nach Jakarta nehmen soll. Genau wie die frittierten Gebäckstücke, eine Flasche süßen Tees und drei CDs auf der Ruri und ihre Schwester Ririn gemeinsam mit anderen indonesischen Sängerinnen javanische Volkslieder singen.
Zwangsläufig gerate ich in jene tiefe Hilflosigkeit, mit der meine kulturelle Konditionierung auf ein solches Aus- und Unmaß an Gastfreundlichkeit antwortet, erst nach und nach verstehe ich, dass alles, was von mir erwartet wird, lediglich ein bisschen gezeigte Freude und etwas Unterhaltung ist. Sie freuen sich, dass ich immer neue Vokabeln für die Großartigkeit der mir präsentierten Speisen im Wörterbuch suche, sie freuen sich, wenn ich nach den Bergen und Pflanzen und javanischen Ausdrücken frage, sie freuen sich, wenn ich mir zum vierten Mal den Kopf am niedrigen Türstock anschlage, sie freuen sich, dass ich auf den Markt mitkommen will und dort bereitwillig ein exklusives Schauobjekt darstelle, sie freuen sich, dass es weder Erdnussbäume noch Reisfelder noch Gläser mit Deckel in Deutschland gibt (überhaupt gerate ich in eine unangenehme Negationsschleife, was es alles in Deutschland nicht gibt, nur mit Fahrradwegen kann ich Ruri kurz beeindrucken. Erst als wir zu dritt auf dem Mofa ohne Helm die Hügelstraßen hinunter rasen, Ruri nebenbei telefoniert und ihrem vierjährigen Bruder zeigt, wie er lenken soll, finde ich ganz allein vor mich hin, dass deutsche Sicherheitsstandards unendlichen Charme haben). Auf der Terrasse betrachten die Männer mein Wörterbuch, kichern die Mädchen, wenn ich sie anlächele und wiederholen sich alle einen Satz, den ich gesagt oder eine Frage, die ich gestellt habe. Während einige der Männer aus dem Dorf die Anrede „Miss“ für alles Weiße und Fremde nicht aufgeben, begegnet mir die Familie mit einem selbstverständlichen Stolz. Neben einem Gast bin ich auch Zeugin ihres Standes, ihres Besitztums, ihres Landes. Und das ist nicht Indonesien, sondern Java. Als ich ihnen aus dem Lonely Planet vorlese, dass die Menschen aus Solo zu den freundlichsten in ganz Indonesien gehören, nicken sie freundlich, aber ungerührt, wer hätte schließlich etwas anderes erwarten sollen.
Auf dem Weg zurück, den Rucksack voller Mangos, erinnere ich mich noch einmal an den Abend beim italienischen Botschafter. Welten, na klar. Nationen, Kulturen, Bruttoinlandsprodukt und so weiter. Aber auch, dass mir in den Hügeln im Haus des stolzen Bapak Jajar Margono die natürliche Frage, was sie um Himmelswillen mit mir zu schaffen haben sollten, nicht in den Sinn gekommen wäre.

Tags: On the Road

Comments

1

Habe ein bißchen gelacht und ein bißchen geweint, wie fast immer, und bin ein bißchen neidisch und ein bißchen froh, und vermisse Dich ganz wahnsinnig doll, mein Schwesterherz!

  Sonni Nov 14, 2007 10:23 PM

2

Wo dazwischen Deine Solo-Familie einzuordnen ist, trau ich mir jetzt gar nicht sagen, ist mir auch nicht so wichtig, aber ich hoffe, dass Dir diese "Gründigkeit" bleibt und wünsch Dir weiterhin viele so schöne Grundlagenerforschungen!
Und irgendwann hoff ich auch, Dich wieder einmal zu sehen! Oder wenigstens zu hören!!
Mein Skype ist OsMoriz (weil der Oskar schon vergeben war) in Raaba, Austria und vielleicht geht es sich einmal aus, auch zu plaudern!
Lieben Gruß auch von Elfriede!
Oskar


  Oskar Nov 15, 2007 4:19 AM

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