Während der Bootsführer über mich hinüber zum Bug klettert, einen Schuh auszieht,
den Sarong schürzt, sich mit einer Hand festhält und dann das Bein bis zur
Hüfte in den Fluss taucht, um die Wassertiefe zu messen, folgendes vor sich hinmurmeln: „you cannot sell these pictures in Europe“, Roundup-T-Shirt,
illegale Holzfäller und ihre Armseligkeit.
Vier Tage habe ich im
Greenpeace-Camp in Riau auf Sumatra verbracht. Dort also, wo der Regenwald fast
nicht mehr existiert. Dort, wo Waldbrände dennoch die schlimmsten Ausmaße in
ganz Indonesien annehmen. Dort, wo Indonesiens großer Traum vom
Exportweltmeister Palmöl seinen Anfang genommen hat und von Tag zu Tag
ausgebaut wird.
Am Flussufer des Indragiri sieht
es harmlos, also aufregend nach Dschungel aus. Abends waren wir – die beiden
indonesischen Regenwaldcampaigner Hapsoro und Bustar, eine chinesische
Journalistin und ich - nach vier Stunden
mit dem Auto aus Pekan Baru in Rengat eingetroffen. Von dort aus ist es noch
eine Stunde nach Kuala Cenaku, eines der kleinen Dörfer in der Provinz Riau,
das sich gegen die Palmölfirmen zu wehren begonnen hat. Im Haus des
Dorfobersten, der mir später mit
rhetorisch versierten Armbewegungen und ebensolcher Stimme erzählen wird,
wie Bulldozer der Firma den Friedhof platt gefahren und ein Spezialkommando der
Polizei die Dorfbewohner bedroht hätten, warten wir auf das Boot. Es ist ein
großes Boot aus Holz, ein Bootsführerhäuschen darauf, wir verstauen Rucksäcke, Wasser-
und Benzinkanister und fahren auf den dunklen Fluss hinaus. Doch da ist es schon
Nacht und am Himmel zieht ein Wetterleuchten herauf, zimtfarben und
grellorange, wie ich es noch nie – aber ich habe noch nichts von dem, was mich
umgibt, je gesehen. Die schwarzen
Baumriesen gegen den flammenden Himmel, ein ganz fremder Mond und Fackeln von
Milliarden Glühwürmchen. Auf dem Bootshäuschen sitzen mit Adè und Erman, zwei
indonesischen Freiwilligen, süße Zigaretten rauchen und ganz schnell flach aufs
Dach legen, wenn die Zweige des Flussufers zu tief hängen. Der Fluss wird immer
schmaler, im Bug steht eine schemenhafte Gestalt und zeigt mit den Armen den
Flusslauf an, trotzdem strandet das Boot zwischendurch im Gesträuch, ich glaube
an einen Unfall und falle vorsichtshalber vom Dach, alle lachen. Hölzerne Behausungen tauchen auf, ganz schwach erleuchtet erscheinen Silhouetten
in den Fensterlöchern. Als ich auf dem Höhepunkt meiner atemlosen
Begeisterung bin, sagt Bustar trocken: „They don’t have anything
left. The forest is gone as
well as the animals. They won’t get anything from the plantations, they just
try to survive somehow.”
Am nächsten Tag erst sieht man,
dass das, was ich für schwärzesten dichtesten Wald gehalten hatte,
tatsächlich nur mehr am Flussufer steht. Dahinter erstrecken sich die erst gerodeten
und dann verbrannten Felder, schwarze Baumstümpfe darauf und endlose Kanäle,
die von den Holzfirmen zum Abtransport der Stämme gelegt worden sind. Hinter
dem Greenpeace-Camp kann man sehen, wie es aussieht, wenn nichts mehr übrig ist
von einer der vielfältigsten Flora und Fauna der Welt. Eine Natur, in der es
nicht vorgesehen war, von einem Horizont bis zum anderen sehen zu können. Hier
sollen Ölpalmplantagen entstehen, wie jene, die sich schon auf der Fahrt von Pekan
Baru nach Rengat kilometerlang zu beiden Seiten der Straße erstreckten: „Welcome to paradise“, sagt
Hapsoro.
Für ein nordeuropäisches Auge sieht es tatsächlich einen Moment wie
das Paradies aus. Palmen, soweit das Auge reicht, Palmen über Hügel hinweg und bis in den
Himmel hinein. Und so wird es die holländische Medienkoordinatorin später auch
kommentieren, als sie von den Kameraaufnahmen mit einer nationalen Celebrity
erzählt, die die Geschichte des Ausverkaufs der indonesischen Wälder nach
Europa tragen soll: „You cannot sell these pictures in Europe. Everybody sees
palms and thinks, oh, nice!“
In den vier Tagen im Camp lerne
ich, Ölpalmen ein für alle Mal dem Bösen zuzuordnen. Dem Weltmarktboom
Folge leistend, werden in ganz Indonesien riesige Plantagen angelegt und
zerstören nicht nur den Regenwald (alter Hut), sondern (ewig neue Büchse der
Pandora) werden nun auch zum Klimaproblem, indem der verbrannte Torfboden die
in ihm gelagerten Billionen Tonnen Kohlenstoff in die Atmosphäre entlässt.
Damit wird Bali ein prekärer Ort, um das Kyoto-Protokoll neu zu
verhandeln, und das haben sie natürlich erkannt, die Ökostrategen. Ich studiere
mich durch die Studien und Artikel, die mir der Italiener unermüdlich
zufüttert, und höre Hapsoro auf meinem Aufnahmegerät lachen, als er sich über
die deutsche Begeisterung für Biodiesel lustig macht:
“That’s a very stupid thing to do. How come? Western countries are very
happy that this climate thing will be solved with the biofuel and that they
have found palm oil for this. For me, as Indonesian, this way of adapting to
the problem of climate change is not fair. It seems as if Western countries are
allowed to use a lot of cars and a lot of industries and when they have a
problem with emissions, they don’t use less cars and less industry, they only
change the way of running them. What they are trying to do so far, is that they
are looking for the cheapest biofuel. And that happens to be palm oil. This is
killing, because it makes competition with the food sector. And if they don’t
want to compete with the food, that means they have to extent the land. And
that means we have to sacrifice the forest. Additionally, palm oil is only
meant for export. There is no indication whatsoever that we will change
domestically to biofuel.”
Auch den Dorfältesten Mursyid M.
Ali und den Feuerwehrmann Erly Surkismanto aus Jakarta höre ich noch einmal auf
dem Aufnahmegerät, während im Hintergrund Hühner krähen und Leute in ihre
Handys brüllen und die Freiwilligen in Gruppen auf den Holzplanken sitzen und
wie immer lachen und wie immer Gitarre spielen. Es ist eine eigenartige
Mischung aus Pfadfinderlager und militärischer Operation, diese Versammlung von
Lobbyisten und Medienspezialisten und Aktionskoordinatoren und den kantigen,
kauzigen Männern aus den Dörfern ringsum, die tausend Erinnerungsfotos von uns
mit ihren Handys machen. Sie sind gekommen, ein Löschtraining zu absolvieren, um mit den tagelangen Waldbränden
wenigstens irgendwie umgehen zu können: „If they understand themselves as a
crew, I consider this training to be a success“, sagt der Feuerwehrmann aus Jakarta und
lächelt mich zutraulich an, „can you please tell Greenpeace not to leave them
alone after this? That they will come back and continue the training?“ Abends kommen sie klatschnass und müde mit
Schläuchen über den Schultern zurück, setzen sich auf den Boden, essen Reis,
lachen, und spielen Gitarre bis spät in die Nacht.
Und trotzdem frage ich mich, was
sie von Greenpeacekampagnen verstehen, die in kürzester Zeit riesige Aufmerksamkeitsbrände
zu entfachen imstande sind, aber auch wieder vorbeigehen und sich anderen
Brennpunkten in anderen Teilen der Welt zuwenden, von Strategen, die den Wald
in Sumatra ohnehin verloren geben und sagen, „we need to use the examples of
Sumatra and Kalimantan to prevent the same thing happening in Papua.“ Die
beiden Frauen, die auf zwei kleinen Kochstellen für 100 Leute kochen und dabei
nebenbei ihre Kinder im Fluss abschrubben. Der Junge aus dem
Dorf, der gerne alle unsere Namen in sein Notizbuch schreiben wollte, einfach
so, zur Erinnerung. Und der kleine Bootsführer, der vor mir im Bug sitzt und ein
verwaschenes Round Up Ready- T-Shirt trägt, eine Werbegeschenk von Monsanto
anlässlich der Gentechnikpflanze, die vor acht Jahren die Insignien des Bösen
trug. Wie es wohl in seine Hände gelangt ist.
Auf der Rückfahrt im schmalen
Holzboot, während aus den verbliebenen Bäumen am Fluss die Affen plumpsen und
Sita neben mir ihr Tropensonnengesicht in einem kleinen Taschenspiegel betrachtet
und sagt: „I am soo black, I have not been that black before“, da sehe ich sie schließlich, die illegalen Holzfäller. Sie kommen uns aus einem der Flussarme in
ebenso schmalen kleinen Holzbooten entgegen, drei an der Zahl, mit einem Tau
zusammengebunden. Auf einem liegt, in kleine Teile zerlegt, einer der riesigen
Merantibäume, ein kleines Dach aus Plane darüber, um ihn vor der Feuchtigkeit
zu schützen. Ein paar Netze, ein paar kleine Kinder, ein paar leere Blicke
hinüber zu uns, während sie Wasser aus den Booten schöpfen. Das
sind sie. Das ist schon alles, der Anfang oder vielmehr das Ende einer
Geschichte: Menschen in Armut.