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Indonesia

28. Oktober 2007

INDONESIA | Monday, 29 October 2007 | Views [496]

Dass ich doch Heimweh habe, merke ich daran, dass ich bei jeder ins Bild geratenden römischen Straßenansicht in Tränen ausbreche, unabhängig davon, ob ich sie erkenne oder nicht. Gleichzeitig bietet sich die Gelegenheit für einen Kulturschock, allerdings diesmal aus der anderen Richtung.

Es ist Europäisches Filmfestival, initiiert von den ausländischen Kulturinstitutionen, dem Goetheinstitut, dem Erasmushuis, dem Istituto Italiano di Cultura und dem Centre Culturel Francais, und Sonntagmittag gehe ich hin und schaue mir „Catarina va in città“ von Paolo Virzi an. Es ist ein Film über ein dreizehnjähriges Mädchen aus der Provinz, das mit ihren Eltern nach Rom kommt und sich dort zwischen den fiesen Gören in ihrer Klasse arrangieren muss. Eine weltweit bekanntes soziales Ärgernis offensichtlich, denn die etwa dreißig Indonesier um mich herum lachen an den richtigen Stellen und machen auch sonst nicht den Eindruck, besonders verstört zu sein.

Ich bin es dafür umso mehr, denn was wir da sehen, muss für einen noch so gebildeten Jakartaer Zuschauer völlig unverständlich sein. Was wir sehen sind römische Zecken und römische Faschisten und römische Edelkommunisten, was wir da sehen, sind römische Familienszenen und Hochzeiten und Demonstrationen und ich denke an die fünf Jahre, die ich gebraucht habe, um das alles nicht einfach nur exotisch zu finden. Denke an die Zecken- und die Technophasen von Sergios Nichten, an die Farben ihrer Unterhosen über den Baggypants, an ihren unverständlichen Slang und ihr Verschwinden auf die nächtlichen Straßen, denke an meinen Streit mit einem Polizisten auf der Piazza del Pantheon über den Hitlergruß der dort aufmarschierten Alleanza Nazionale, denke an die händchenhaltenden Großmütterchen und Großväterchen mit ihren unermüdlichen roten Schals auf den Sommerfesten von L’Unità, denke an den Blick der reichen Römerinnen zwischen Viminale und Quirinale auf meine Turnschuhe, denke an den Stolz, mit dem Sergio die Verfehlungen der italienischen Politik der letzten 50 Jahre aufzählt, denke an die unverständlichen Anschlagtafeln der Philosophischen Fakultät der Universität La Sapienza, denke an – und will die neben mir sitzende und freundlich zuschauende Indonesierin am Arm schütteln und darauf aufmerksam machen, dass das hier nicht einfach nur irgendein europäischer Film sei, sondern alles wirklich – ja was? Mit einem Kloß im Hals zurück auf die glühende Straße gehen, in eine krakeelende Horde kleiner Schwimmbadjungs geraten, die sich zwei Kilometer lang über meine Gestalt und mein Gestammel und mein Dasein insgesamt totlachen und die Fremdheitserfahrung wirken lassen: sprachlos zu wissen, wie alles woanders ist.

Mit den Mädchen allerdings wird es besser. Die Läden der ganzen Stadt sind beherrscht von Mädchen. Sie passen Brillen an und verkaufen Parktickets und Malariamedikamente. Sie sitzen an den Kassen und Informationsschaltern, sie tragen Pferdeschwanz und Uniformen und in den Gesichtern weiche Züge, die verraten, dass sie alle nicht älter als zwanzig sind. Aus einem kleinen Warung, einem Essenslädchen, das hinter der Mauer liegt, hole ich manchmal abends Essen: Fisch, rot eingelegte Miesmuscheln, scharfe Bohnen, Sampal, 6000 Rupien. Das erste Mal, das ich den Laden betrat, erstarrten die beiden Mädchen hinter der Theke zu Salzsäulen, nur um gleich danach in jenes hysterische Gelächter auszubrechen, das verrät, dass man noch nicht über sechzehn ist. Sie konnten mich nicht bedienen, der Vater traute sich auch nicht, bis schließlich die Mutter aus den hinteren Gefilden kam, Reis auffüllte und mich herrisch ansah, dem Theater ein Ende zu machen, indem ich ihr sagte, was ich wollte. Die Mädchen hörten nicht auf zu kreischen und mit dem Finger auf mich zu zeigen, der Vater lachte nun auch aus vollem Hals, und ich hätte gerne, wie schon öfters bei solchen Gelegenheiten, gesagt, dass das in Deutschland ein bombensicheres Mittel sei, nicht nur seine Kunden loszuwerden, sondern sich auch eine Beleidigungsklage aufzuhalsen. Aber zum Glück kann ich ja nichts sagen, sondern ging nur trotzig am nächsten Abend wieder hin. Diesmal schob der Vater gleich die Mutter vor, um dem nächsten Kollaps seiner Töchter vorzubeugen, aber beim dritten Mal waren sie alleine. Zu zweit trauten sie sich, eine füllte den Reis auf, dann verharrten sie ganz still und beobachteten mich wie hypnotisiert, was ich wohl tun und worauf ich zeigen würde. Das eigene Lächeln wie eine weiße Fahne schwenken und tatsächlich - beim vierten Mal erkennen sie mich offiziell wieder und begrüßen mich. Als ich dann „apa kabar“ sage, wie geht es, und „dimana ibu“ wo ist Mama, da müssen sie noch einmal losprusten, dann aber antworten sie tatsächlich - gut, schläft - und ich trage das schwarze Plastiktütchen mit einem Hochgefühl nach Hause.

Tags: On the Road

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