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Indonesia

18. Oktober 2007

INDONESIA | Thursday, 18 October 2007 | Views [472]

Binnen zweier Tage verliebe ich mich gleich in zwei Frauen. Zuerst auf dem Campus der Atma Yaja Catholic University an der Jend. Sudirman: ein Sankt Antonio mit in den Himmel gereckten Händen, Mutter-Theresa-Plakate an den Wänden, Graffitis, dann eine Art überdachter Geschäftsstraße, aus den kleinen Glasboxen dröhnt Bob Marley und werden Schokoladenkekse verkauft, Studenten haben Laptops auf den Knien und Zettel um sich herum auf dem Boden ausgebreitet und Lamentos über Hausarbeiten in den Mündern. Die verstehe ich nicht, aber das weiß ich trotzdem.

Lombaga Bahasa, steht in meinem Notizbuch, Language department, 3rd floor, room 306, 15:00 Uhr. Dort sitze ich dann zwei Stunden lang drei Linguisten des Max Planck Institutes für Evolutionary Anthropology gegenüber, die mir von den 700 Sprachen Indonesiens erzählen, von ihrer Gefährdung durch die Landessprache Bahasa Indonesian und mir nebenbei die Grundlagen linguistischen Forschens beibringen. Im Notizbuch jagen sich die Spiegelstriche: Moluccan islands, most endangered languages in Indonesia: Allang, Kouro, Alune, only few elderly speakers, same development in Muslim and Christian villages. Reasons, heißt der nächste Spiegelstrich: historical, political, social, mixed marriages. Nicht nur haben die Holländer das Malayische zur Verbreitung des Christentums eingesetzt und damit die lokalen Sprachen und Dialekte vertrieben, nicht nur hat die offizielle Einführung von Bahasa Indonesian als Landessprache das Übrige getan, sondern sehen auch die Sprecher selbst ihre Sprachen als sozial minderwertig an. Ein paar Tage später werden Eilish und Kanis, meine Jakarta Post Vorgesetzten, meinen Artikelentwurf lesen und sagen, nice, but we need reasons, why these languages need to be preserved. People in this country are not convinced at all that this is necessary, they believe it to be far more important to speak proper Bahasa or English.

Und ich hatte den Linguisten diese Frage sogar gestellt, fast aufgeregt, weil mir genau hier die Linie zwischen Journalismus und Wissenschaft zu verlaufen schien: As a scientist I would hate this question, hatte ich gesagt, but why would you want to preserve these languages. Who cares if there is on some island one old lady left speaking a language that the majority of the population has never even heard of? Und verliebte mich ohne Umstände in die italienische Linguistin, als sie mich abfällig ansah und sagte: You know, linguists are no social workers. We don’t go out in the field and tell people, hey, you need to speak your language. We just believe them to be fascinating, we want to record them, study them and want to give people the chance to preserve them - if they are interested.

Einen Nachmittag verbringe ich damit, die Geschichten und Legenden in dem von ihr edierten Buch zu lesen: A collection of Kenyah stories in the Òma Lóngh and Lebu’ Kulit languages. In drei Kolumnen sind die Geschichten aus den Dörfern im Osten Kalimantans aufgeführt: Geschichten von Ungan und Awé, die in Stein verwandelt werden, weil sie sich über einen Hund lustig gemacht haben, und von Mpé und Buzu, die aus Versehen ihr Kind kochen und essen, auf Indonesisch, auf Englisch und in Òma Lóngh oder Lebu’ Kulit. “Buké ileu tai medik ti di’ ira’ ketai mena’at a di’ inyé daau senteng tilu tai mena’at ta”, probiere ich aus, quittiert von einem weiteren abfälligen Blick der italienischen Linguistin. Aber da hat sie mich schon mit an ihren Schreibtisch genommen und gezeigt, wie die Datenbank funktioniert, in der alle hiesigen Forscher ihre Aufnahmen von allen Inseln Indonesiens einspeichern: wie und auf welche der 44 unterschiedlichen Weisen die erste Person Singular funktioniert. Welche Sprachen Suffixe oder Genitive besitzen und wie man Beispielsätze entwickelt, anhand derer man so was rauskriegt. Über Kopfhörer höre ich einen alten Mann in fremden Tönen und Lauten erzählen, wie er mit seiner Familie vor vielen Jahren in dieses Dorf gezogen ist, und sehe in der Datenbank die in kleine Felder unterteilten Analysen dieser Erzählung.

Und gehe dann, als es schon dunkel ist und die Schallwellen der Muezzine und Muezzinkassetten sich über der Stadt ausbreiten, mit vielen Spiegelstrichen im Notizbuch und einem vollen Aufnahmegerät nach Hause, auf dem ich mir am Tag danach noch einmal die Tonhöhen und Unterbrechungen und Gelächter eines Gesprächs anhöre, all das also, das verloren geht, wenn man einen informativen Artikel zum Thema schreibt.

Wieder einen Tag später treffe ich die Leiterin der Programmabteilung im Goethe-Institut, die mich eingeladen hatte, vorbeizukommen, um vielleicht bei einem gemeinsamen Brainstorming Möglichkeiten des Geldverdienens für mich zu entwickeln. Schon diese Einladung hatte ich mehr als freundlich gefunden, sich dann aber eine Stunde lang frei unterhalten zu können, über die Schwierigkeiten und Möglichkeiten, ein Kulturprogramm in Jakarta zu entwickeln, wo es nicht einmal einen Veranstaltungskalender gibt („kommen Sie mir jetzt nicht mit Berlin!“), über aktuelle deutschsprachige Literatur und die Möglichkeit von Publikationen in Indonesien („der Übersetzer war bei Elfriede Jelinek am Rande des Nervenzusammenbruchs“), den kleinen und unterfinanzierten Buchmarkt, lässt die Möglichkeit aufscheinen, wie schön und achtungsvoll Vorstellungsgespräche im Grunde sein könnten, gänzlich ungeachtet ihres Ausgangs. Und als sie erzählt, dass sie in Kürze nach Indien übersiedeln wird, unterdrücke ich nur mit Mühe den Impuls, sie zu fragen, ob ich nicht mitkommen könnte.

Tags: On the Road

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