Wird ab heute alles anders? Idul Fitri ist da, das Ende des Ramadan, das Ende der Fastenzeit. Ein Crescendo seit Wochen. Zuerst die Banner über den Straßen und Eingängen der Banken und Einkaufszentren: Selamat Idul Fitri H 1428, und dazu Weihnachtsbotschaften von Frieden und Glück, die ich, im Bus, im Stau, mit dem Wörterbuch auf den Knien Stück für Stück entziffere. „Batin“, finde ich bei dieser Gelegenheit heraus, heißt zum Beispiel „in jeder Hinsicht“. In jeder Hinsicht soll Segen über das Land und seine Gläubigen kommen, skeptischer als auf diesen grünen und weißen Bannern tönt das in den sich ebenfalls häufenden Idul-Fitri-Nachrichten in den Zeitungen: im Verkehrsministerium und in der Zentrale von Transjakarta Busway scheint es von Woche zu Woche mehr Strategiesitzungen zu geben, wie das zu erwartende Verkehrsaufkommen zu bewältigen sei. Offensichtlich hat das ganze Land vor, in seine Heimatdörfer und - städte aufzubrechen, schon kurz nach Beginn der Fastenzeit waren alle Flüge in die größeren indonesischen Städte ausgebucht, zusätzliche Zug-, Bus- und Schifflinien wurden extra für die Woche zwischen dem 11. und dem 19.Oktober eingerichtet. Neben den Artikeln über das Verkehrschaos waren Fotos von an langen an Kais wartenden Motorradschlangen zu sehen oder von einem verschleierten Mädchen, das, aus einer Zugtür heraushängend, ihrem Freund zum Abschied die Hand küsst.
Derselbe Exodus wird auf den Wirtschaftsseiten mit Befriedigung verzeichnet, weil nun das im Lauf des Jahres in die großen Städte Javas geflossene Geld in dieser Woche wieder zurück aufs Land und in die Dörfer strömt. Die Banken bringen für dieses Ereignis, an dem offensichtlich die zu Glück gekommenen Schwiegersöhne und Enkel zuhause ihren Wohlstand vorführen, neue Geldscheine in Umlauf. Und in Jakarta Timur wird ein Betrüger gesucht, der eine Bank eingerichtet und braven Bürgern über Monate ihre Ersparnisse für Idul Fitri abgeknöpft hatte mit dem Versprechen, ihnen pünktlich zum großen Ereignis alles mit Zinsen zurückzuzahlen.
Nach und nach verdichten sich die Zeichen. Feuerwerke, die seit Wochen in der Nacht angezündet werden und rot und grün sekundenlang über den tausend Lichtern der Stadt stehen. Der Gesang und die Trommeln in der Nacht aus den Moscheen, Allahu akbahr, und die kleinen Mädchen, die, selbst wie kleine Geschenke verpackt, kichernd in rosa und weißen und hellgrünen Schleiern abends um sechs über die Straßen trippeln. Tausend kleine Schuhe stehen dann vor dem Eingang der Moschee, die zwischen unseren Hochhäusern und dem kampong liegt. Die aus Schilf und Rohr geflochtenen Körbe für die Geschenke, manchmal hocken zwei vor einem Geschäft und flechten mit Windeseile riesige Schilfrohre zusammen. Seit ein paar Tagen steht neben unserem Aufzug so ein Mittelding aus Osterstrauß und Sylvestergirlande und auch daran hängen kleine Körbchen. Überall gibt es Idul-Fitri-Sonderangebote, für Kleider oder Immobilienkredite, und auch die banalsten Kekse werden mir interessant, weil es eine Extra-Idul-Fitri-Edition zu sein scheint.
Am schönsten aber war dieser buchstäbliche Advent abends auf den Straßen: um 17:49, um 17:50, in Palangka Raya erst um 18:10. Dann also, wenn aus einem Radio oder einem Fernseher Gesang ertönt und das Fasten gebrochen wird; jeden Tag waren in der Zeitung die Minuten von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang verzeichnet, und trotzdem musste immer noch einmal sicher gegangen werden: Zweimal befinde ich mich im Taxi, einmal schaltet der Fahrer das Radio ein, hört einen einzigen Ton und schraubt sofort seine Wasserflasche auf; das zweite Mal ist offenbar das Radio kaputt oder der Verkehr zu laut und so beugt sich der Fahrer aus dem Fenster und fragt eine am Straßenrand stehende Frau, ob es schon so weit sei. Im Expressbus schrauben alle gleichzeitig ihre Flaschen auf und ein verschwitzter Mann mit schlimmen Zähnen bietet seine Flasche dem Fahrkartenabreißer an, falls der nicht so schnell zu etwas Flüssigem käme. In einem Restaurant, das Sergio und ich gegen 17:40 betreten, steht schon alles bereit: die Schüsselchen mit Fisch und Hühnchen und Algen und Chili, die gelben und roten Soßen, sogar Getränke sind schon abgefüllt. An einem der Tische sitzt eine Familie mit Mama, Papa und zwei Kindern, regungslos. Auch wir setzen uns und einer vielen kleinen Kellner mit blauen Hemden kommt mit entschuldigendem Lächeln auf uns zu: belum nasi, sagt er, noch kein Reis, we’re muslim, sorry. Um kurz vor sechs dann der erlösende Gesang aus dem Radio, die Familie stürzt sich unisono und immer noch schweigend auf ihre Schüsseln, und während das Volk von der Straße herein zu strömen beginnt, schluckt der der Kellner noch schnell an einem riesigen Stück Banane. Auch bei der Jakarta Post stehen Bananen und vor allem riesiger Schokoladenkuchen auf einem langen Tisch: We are celebrating the breaking of the fast, sagt der Chefredakteur zu mir, als ich schon meinen Rucksack über der Schulter habe und mich leise davonmachen will, please come and join us.