Nach etwas mehr als 10 Monaten in Shihezi, Xinjiang, ist es
Zeit Bilanz zu ziehen, eine Gewinn- und Verlustrechnung anzustellen, die
Habenseite ins Auge zu fassen und was der Begriffe aus dem Rechnungswesen noch
mehr sein mögen. Die schleichen sich vielleicht auch deshalb hier ein, weil
vier meiner Studenten ebendies im Hauptfach studierten, «Rechnungswesen» oder «Buchhaltung»,
ich konnte nie herausfinden, wie «accounting» am besten zu übersetzen wäre.
Fest steht aber, dass die 15 Studenten, deretwegen ich nach
Shihezi gekommen war (um ihnen die schöne deutsche Sprache samt all ihren
Tücken etwas näher zu bringen und geradezu ans Herz zu legen) allmählich zu
meiner grössten Stütze wurden, meiner Kraftquelle und ganzen Freude. Ihr
Interesse, ihre Zuneigung und wie sie stets auf mein Wohl bedacht waren, werden
mir unvergesslich bleiben.
Klar also, wo ich diese Erfahrung verbuche. Und nehme ich
noch jene vielen anderen guten Menschen hinzu, die ich in China kennen lernte –
ob näher oder nur flüchtig, sozusagen im Vorbeigehen (wobei darin keine Wertung
liegen soll, ist es doch auch so, dass ein Lächeln, ein Fingerzeig oder der
«Pinganguo» (Weihnachts- und Friedensapfel), den mir die Inhaberin des Ladens,
wo ich immer meinen Schlummertrunk gekauft habe am 24. 12. schenkte … dass
diese kleinen herzlichen Gesten einem den ganzen Tag versüssen können) – dann wäre
auch dem unbedarftesten Buchhalter des Alltags schon früh klar, dass das Konto «Shihezi 2011»
im Plus geschlossen wird.
Vielleicht habe ich überhaupt an Erfahrung gewonnen. Nicht
nur als Lehrer, sondern auch persönlich. Ich habe zum Beispiel gelernt, nicht
immer alles ganz genau wissen und verstehen zu wollen, mich eher mal ins
Unabänderliche zu schicken, und das Unabänderliche war nicht selten das Ungewohnte,
mir Unbegreifliche, Fremde («chinesische
Logik», sagten meine Studenten dann
manchmal, lachten verschmitzt, ich lachte auch, und wir verstanden uns). Dass ich
es nicht geschafft habe, innerhalb eines knappen Jahres zum Chinesen zu werden,
ist so verständlich wie bedauerlich. Hätte mir das doch in vieler Hinsicht und
sicher auch bei manchen Problemen des täglichen Lebens sehr geholfen.
Muss ich die chinesische Esskultur wie sie sich mir in ihrem
ganzen Reichtum zeigte noch einmal hier darstellen und würdigen, die unzähligen
Imbisse und Restaurants (was für eine Güte in der Breite!) noch einmal erwähnen,
daran erinnern, wie die Mahlzeiten noch jeden meiner Tage bereicherten und
beglückten? Nein, das muss ich eigentlich nicht, alleine das Essen dürfte Grund
genug sein, nach China zurückzukehren.
Es sind allerdings auch Verluste zu beklagen, angefangen bei
den Haaren. Wenn man in Wohnungen mit hellen, spiegelnden Steinfussböden wohnt,
auf denen jedes einzelne Haar zu sehen ist, das einem auszufallen beliebte und
wenn man zudem – denn bei einzelnen Haaren bleibt es ja leider nicht –
regelmässig ein ganzes Haarnest zusammenkehren musste, dann fragt man sich schon,
wohin das wohl führen wird. Und wird sich auch dadurch kaum beruhigen lassen,
dass andererseits ein paar Haare dazugekommen sind; graue nämlich. Wie man
überhaupt festhalten muss, dass so ein Arbeitsaufenthalt in China kein
Jungbrunnen ist. Man kann hier in einem Jahr gut und gerne drei Jahre älter
werden. Oder sagen wir besser: reifer. Das wird wohl auch damit zu tun haben,
dass in Shihezi kaum etwas im Alltag einfach war (für mich jedenfalls nicht)
und einfach so sein konnte wie in Europa, dass ein Gang zur Post eine
Herausforderung und der Kauf einer Fotokamera (ich musste mich leider von
meiner geliebten Canon digital IXUS 70 verabschieden) ein Unternehmen ist, das
nur mit fachkundiger Hilfe und viel Zeit zu bewerkstelligen ist.
Weitere Verluste: ein Mountainbike, ein Handschuh, einige
Vorurteile. Alles in Allem eine sehr gute Bilanz, denke ich.