Nicht dass ich hier hinter dem Mond lebte, ich weiss, was
auf der grossen weiten Welt so vor sich geht, und selbst wenn in Baselland
irgendwo eine Scheune brennt, entgeht mir das nicht. Ebenso wenig, dass vor fünf
Tagen der grosse Führer Kim Jong-il, die Sonne bzw. Sonnenbrille der Menschheit
gestorben ist. Und während sich einer seiner Söhne anschickt, in die
Fussstapfen seines Vaters zu treten, stelle ich mir manchmal vor, meine 10
Monate als DaF-Lehrer statt in Xinjiang in Pjöngjang verbracht zu haben.
Auf swissinfo.ch berichtete neulich ein Schweizer Journalist
von einem Nordkoreabesuch. In dieser Reportage war u. a. davon die Rede, dass
Ausländer bei der Einreise ihr Mobiltelefon abgeben müssen, dass es in
Nordkorea kein Internet gibt und dass – aber das hat mit Medien eigentlich
nichts zu tun – selbst in der Hauptstadt Pjöngjang ewige Dunkelheit herrscht.
Die offenbar nur begrenzt zur Verfügung stehende Elektrizität wird, so der
Autor, abends und nachts vornehmlich zur Beleuchtung der zahlreichen Statuen
von Kim Jong-il benutzt.
«Wie gut ich es hier doch
habe», dachte ich da, in Shihezi,
Xinjiang, in einer Provinz, wo zwar ab Juli 2009 ein Jahr lang das Internet tot
war, seither jedoch Bits und Bytes beinahe ungehindert und in alle Richtungen
durch die Breitbänder rauschen, dass es eine Freude ist (und wo die Strassen,
Plätze und vor allem Geschäfte, nebenbei bemerkt, ausreichend beleuchtet werden,
nur die derzeit spiegelglatten Bürgersteige und Radwege liegen nächtens in
beinahe vollständiger Finsternis.).
Zu meiner täglichen Routine gehört es, vom Sofa aus einen
Blick auf die Internetseiten schweizerischer und deutscher Zeitungen zu werfen
oder auch mal «China Daily» zu besuchen, aber das eher selten. Ich könnte nicht
sagen, dass ich in Sachen Information etwas vermisse (es sei denn, die
Möglichkeit, mit einer raschelnden und nach Zeitung riechenden NZZ, WOZ, TAZ
oder FAZ in einem Café zu sitzen und auf diese Weise (statt im www) die Zeit zu
verplempern.
Ich sagte eben «beinahe
ungehindert» und das nicht ohne Grund.
Muss man als Internetnutzer in China doch auf Facebook, Twitter, Youtube und so
gut wie alle Blogs verzichten. Auch landet man nach der Eingabe von Suchwörtern
wie «Dalai Lama», «Tiananmen» «Liu
Xiaobo» usw. zuverlässig im Niemandsland
(«Fehler: Verbindung unterbrochen») oder kriegt zwar eine Trefferliste, aber
kein Link funktioniert. Was soll’s, man kann auch prima ohne Facebook leben und
die Suchmaschinenzensur wird erst dann richtig ärgerlich, wenn man es sich nach
der wiederholten Eingabe von heiklen Begriffen bis auf Weiteres ganz verscherzt
hat. Dann kann man nämlich auch «Gänseblümchen» googeln und kriegt doch keine Ergebnisse
mehr. Strafe muss sein.
Um noch einmal auf Nordkorea und den Umstand, dass es dort
kein Internet gibt zurückzukommen. Vor ein paar Jahrzehnten war in dieser
Hinsicht ja überall Nordkorea. Wenn ich mir vorstelle, dass ich um 1990 während
einiger Monate in Xinjiang gearbeitet und keinen Zugang zu Zeitungen,
Zeitschriften und anderen Infokanälen gehabt hätte, auch keine Filme hätte
herunterladen können, keine Bilder verschicken und vor allem keine E-Mails
empfangen und senden, dass ich also auf den normalen Postweg angewiesen gewesen
wäre, wochenlang hätte auf Sendungen warten müssen, überdies meine Fotos nicht
nach jeder Aufnahme auf einem Display gehabt hätte, sondern in einer
umständlichen Prozedur hätte entwickeln und vergrössern lassen müssen – kurzum,
wenn ich mir all meine Kommunikations-, Informations-, Illustrations- und
Zerstreuungsdefizite vorstelle, an denen ich vor 20 Jahren in Shihezi gelitten
hätte … … … werde ich ob dieser verpassten Chance etwas traurig; nicht aus Lust
am Leiden, sondern um des Verlusts an Erfahrungstiefe, Kontemplation und
Sinnlichkeit willen, den all die digitalen Annehmlichkeiten eben auch
beinhalten. Man kommt heute ja kaum noch dazu, seinem inneren Nordkorea zu
begegnen.