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Alltag Alltag in China (Peking - Shihezi, Xinjiang)

Namen

CHINA | Friday, 9 December 2011 | Views [1381]

Namen sind ein Problem in China, keine Frage, also chinesische Namen für westliche Ohren, meine. Denen geht es gewöhnlich so, dass sie beim Kennenlernen – wiewohl vorbereitet und sozusagen in Alarmbereitschaft – zwar vernehmen, dass da was auf sie zukommt, die Silbengirlande, die schliesslich im Hörzentrum eintrifft, aber nicht zu entwirren vermögen. Da hilft das Wissen darum, dass in China der Nachname zuerst genannt wird, auch nicht viel. Und dass es etwa 700 Familiennamen geben soll (für ein Volk von über 1.3 Milliarden!) – von denen lediglich um die 20 sehr beliebt sind – ist auch nur auf den ersten Blick hilfreich. Einer begrenzten Auswahl von Familiennamen steht nämlich ein Heer zig zehntausender Zeichen gegenüber, die sich zu unendlich vielen Personennamen fügen lassen. Aber auch das ist nicht das Hauptproblem. Das Hauptproblem ist so einfach wie beschämend: Entweder ich verstehe die Namen nicht richtig oder ich kann sie mir nicht merken.

Jetzt sind Chinesen aber gemeinhin sehr freundliche und zuvorkommende Menschen, wissen um unsere Schwierigkeiten und geben sich daher simple westliche Namen. Wie Lucy, Peggy, Sally, Sue … Michael, Brandon, Harry, Lou … oder – so in einer ausschliesslich aus Chinesen bestehenden Deutschklasse, die ich vor Jahren in Basel unterrichtete – Heinz, Hans, Horst usw., ich habe nie rausbringen können, warum um die zwanzigjährige Chinesen ohne Not solch altmodische Namen wählten.

Wie auch immer, in Shihezi ist mir erst spät eingefallen, diese Hilfsbereitschaft zu erwidern und mir meinerseits einen schönen chinesischen Namen zu geben. Dafür habe ich jetzt gleich mehrere. Einmal «aò lì fú», den ich auf der Suche nach «Oliver» über die sehr praktische Website www.chinesisch-lernen.org ermittelte, wo man auf http://www.chinesisch-lernen.org/vornamen/suche.html seinen Vornamen auch geschmackvoll kalligraphieren lassen kann.

Dann wurde mir von meinen Studenten ein ganzes Namensset verliehen, was freilich erst nach reiflicher Überlegung und eingehender Beratung geschehen konnte … bis dann vom Klassensprecher feierlich verkündet wurde, dass man Wáng Lì Yán für angemessen halte. Was «König», «stehen», «Fels» bedeutet, man stelle sich also einen König (mich) vor, der von einem Fels herab sein Reich überblickt. Oder sehnsüchtig in Richtung der Heimat Ausschau hält, womit wir beim dritten Namen wären. Der wurde von meiner Chinesischlehrerin Pei Bei angeregt und ist das chinesische Wort für Olivenbaum: gǎnlǎnshù.

In einem Lied gleichen Titels, das ich auch Pei Bei zu verdanken habe, geht es um einen Olivenbaum, der fern der Heimat herumzieht, obdachlos ist (wie die meisten Bäume) und gleich am Anfang sagt: «Frag nicht, woher ich komme.» Ich werde nicht müde, dieses Lied – das, man mache sich nicht über mich lustig, schmerzensschön und von einigem Pathos durchtränkt ist – zu hören und mir dabei nun eben einen heimatlosen Olivenbaum vorzustellen, der sprechen kann.

http://ting.baidu.com/player/index.html?__methodName=mboxCtrl.playSong&__argsValue=1085111&fr=mp3

Und wenn ich schon über Namen zur Heimat gefunden habe … diesen noch, «Hallelujah»,, ein (zufällig auch in Gefühlen schwelgendes) Lied, das ich zu Hause in Basel schon hundertfach gehört hatte und das mir vor Monaten, an einem heissen Sommerabend in Shihezi von jenseits der Strasse aus einer Bar ganz unerwartet in meine Wohnung getragen wurde. Auch in einem Lied ist Heimat, dachte ich da, es braucht nicht viel, sich zu Hause zu fühlen.

http://music.sina.com.cn/yueku/s/18715.html

 

PS   An der gelben Geschäftsfassade mit dem einen ellenlangen Wort bin ich in meiner dritten Woche in Shihezi vorbeigekommen, als ich noch gar keine Ahnung hatte und mir daher alles frisch zusammenreimte. Einen längeren chinesischen Familiennamen werde ich nicht finden, sagte ich mir damals. Heute weiss ich, dass das viele Wörter sind und dahinter eine Spielhalle steckt.

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