Manchmal braucht es Mut in China und je nachdem nicht nur
ein Quäntchen, sondern eine tüchtige Portion. So wie vor Monaten, als ich in
Shihezi ein Lokal betrat, in dem ganz offensichtlich nur Gruppen versammelt
waren, um Tische, mit denen etwas nicht stimmte. Und das war dann der Moment,
da ich, wäre ich wirklich mutig gewesen, wieder hätte umkehren sollen, obwohl
mich eine resolute Bedienung schon zu einem dieser Tische führte, in deren
Mitte ein Loch klaffte. Und in dem lauerte ein mächtiger Gasbrenner auf seinen
Einsatz.
Der kam auch sogleich, von der Resoluten en passant ins Werk
gesetzt, mit einem «Bou» sprang der Brenner an. Dann wurde ein Yin/Yang-mässig zweigeteilter
Topf auf die Feuerstelle gesetzt, der auf der einen Seite eine blutrote, höllisch
scharf aussehende Flüssigkeit enthielt, auf der anderen eine Brühe, in der grob
geschnittene Gemüsestücke schwammen. Beide Flüssigkeiten begannen, durch die
Kraft des Feuers animiert, sofort zu blubbern. Und dann bemerkte ich auch endlich
die gut 20 Liter fassende, eigentlich unübersehbare Gasflasche direkt unter jedem
Tisch.
Wenn man, wie ich damals, etwas eingeschüchtert ist und nicht
weiter weiss, sieht man sich am besten ein wenig um. Den anderen Gästen schien
es prächtig zu gehen. Sie sassen fröhlich schwatzend um ihre Feuerstellen, präparierten
Holzspiesse mit Tofu, Fleisch, Würsten und Fisch, mit Kartoffeln, Kohl, Kraut und
Kräutern (rafften und rupften, schnitzten, schnitten und spiessten) oder holten
sich aus einem Kühlregal fixfertige Holzstecken, die dann in die dampfenden,
wogenden und leider auch tückisch spritzenden Brühen versenkt wurden … bis gar war,
was schmatzend verspeist werden sollte.
Mich liessen derweil diese Gasbehälter unter den Tischen nicht
los (ob es in China wohl eine Art TÜV gibt, der die Installationen in
Feuertopfrestaurants regelmässig überprüft?), umso mehr, weil beim Essen munter
geraucht und gebechert wurde und einmal eine schon deutlich angetrunkene Frau
in einer exaltierten Runde ein Glas Báijiŭ (Schnaps) umstiess, worauf ein
Dicker am Tisch, der mir schon ganz hinüber zu sein schien, überraschend behände
abtauchte und offenbar die Gaszufuhr abdrehte.
Dass ich schliesslich eher pflichtschuldig meine paar
Spiesschen in die unheimlichen Brühen tunkte, mich dann jedoch rasch dem vertrauten
Yanjing-Bier zuwendete (dazu aber aus nahe liegenden, das heisst, eigentlich
unter dem Tisch stehenden Gründen auf die obligate Selbstgedrehte verzichtete),
dass ich zusah, dieses teuflische Lokal, in dem ich mich nicht nur speziell einsam,
sondern auch an Leib und Leben bedroht fühlte, alsbald zu verlassen … wird man
vielleicht verstehen und mir nicht als Feigheit vor dem Feuertopf auslegen.
PS Inzwischen
besuchte ich, jeweils in Begleitung von Studenten, zwei weitere Restaurants
dieser Art, ungleich grössere, das eine muss weit über hundert Gästen Platz
geboten haben (der Geräuschpegel in einem Lokal in China ist übrigens mit jenem
in deutschen oder schweizerischen Gaststätten nicht zu vergleichen; es geht recht
lebendig zu hier, also geräuschvoll, das heisst, manchmal ohrenbetäubend). Dank
meinen Begleitern, die sich wie immer liebevoll um mich kümmerten, dank ihrer
Hinweise und Ratschläge und weil sie einfach da waren, wurden das richtig
schöne Abende. Nie allein zum huǒguō, hotpot, Feuertopf!