Der Sommer war grossartig, da gibt es nichts zu meckern.
Lang, sehr beständig, heiss – und dank der Tausenden von Bäumen in Shihezi doch
auch schattig und von einem Lüftchen umfächelt.
Wenn ich was zu bemängeln hätte (hat man ja praktisch
immer), dann das Fehlen eines Sees oder Freibades bzw. einer Freibadekultur,
die gibt es nach meiner Beobachtung hier nämlich nicht. Wo ich in der Stadt
oder etwas ausserhalb mal unter sengender Sonne auf ein Gewässer traf – dabei
denkend: wenn das jetzt in der Schweiz oder in Deutschland wäre, würden sich
sofort Dutzende ins erfrischende Nass stürzen – fühlte sich kein Einheimischer
versucht, auch nur Fuss oder Ellbogen ins Wasser zu tauchen (und es lag mir
fern, hierbei der Erste sein zu wollen).
Der Herbst jedoch ist in Shihezi nicht gross anders als daheim.
Er leuchtet in allen Herbstfarben, giesst sein goldenes Licht über Stadt und
Land aus, über Felder und Wälder, Hügel und Berge; doch auch wenn die gute Sonne
tagsüber noch angenehm wärmt, nachts wird es schon empfindlich kalt. Einzig die
Heerscharen von Frauen und Männern, die Tag für Tag einen Strohbesen aufs
Fahrrad klemmen und zu ihren Einsatzorten fahren, Blätter zusammenkehren und in
Säcke packen (sehr zu bedauern sind sie, wenn dabei ein Herbstwind bläst und
sein grausames Spiel mit ihnen treibt), einzig sie – nebst den nach wie vor
vollkommen unverständlichen Schriftzeichen allerorten und ein paar Phänomen
mehr – erinnern mich noch daran in China zu sein.
Es gibt eine chinesische Redewendung, die mich die letzten
Tage beschäftigt hat: «Duō shì zhī qiū», wie immer ohne Gewähr. Zumal wenn ich
mich an die Übersetzung mache. Bis anhin klar ist zwar, dass «duō» viel, «shì»
Sache oder Angelegenheit und «qiū» Herbst bedeutet (während « zhī » keine
Bedeutung haben soll). Nach mehreren Telefonaten und etlichen Gesprächen mit
meinen besten Gewährsleuten kristallisieren sich nun folgende mögliche
Bedeutungen heraus: «Im Herbst gibt es viel zu tun», «Ganz schön was los», «Es
passiert viel», «Unruhige Zeiten» und möglicherweise stets mit einer leicht
negativen Bedeutung. Ich erwähne diese anscheinend recht häufig benutzte
Redensart ja auch nur, weil sie was mit Herbst zu tun hat und nebenbei
illustriert, wie schwer ich es hier gewöhnlich habe in kurzer Zeit zu eindeutigen
Informationen zu kommen. Ausserdem gefällt mir eine mögliche Erklärung ihrer
Herkunft.
Im alten China sollen nämlich zu den üblichen
herbsttypischen Tätigkeiten wie ernten, Haus und Hof winterfest machen, über
die Endlichkeit allen Seins, Abschied, Tod und womöglich Wiedergeburt
nachdenken, Papierdrachen steigen lassen usw. usw., sollen zu diesen
herbstlichen Verrichtungen auch von Staatsseite das Eintreiben von Steuern, das
Einziehen der Rekruten und die Vollstreckung von Todesurteilen gekommen sein
(was zusammengenommen den negativen Bedeutungshof von «Duō shì zhī qiū»
hinreichend erklären würde). Wahrlich, im Herbst gab und gibt es viel zu tun;
und auch ein weiterhin viel beschäftigter, sich emsig der Verbreitung deutschen
Sprach- und Kulturguts widmender, auf dem äussersten Aussenposten wacker
kämpfender Schweizer … … weiss davon ein Lied zu singen.
PS Mein
Lieblingslied seit Monaten, hat was mit Kaffee zu tun:
http://www.tudou.com/programs/view/d4bmBN7nwBA/