Ein dem Alltag verpflichtetes Journal kann sich nicht mit
der hohen Mode beschäftigen. Die soll ruhig weiterhin über die Laufstege in Paris,
Mailand, Madrid usw. staksen (falls ihr danach ist, auch über jene in Peking,
Shanghai und Dalian), aber wir sind hier in einer Kleinstadt (nach chinesischen
Massstäben) am nordwestlichen Rand des Mittereichs, und obwohl es in Shihezi
ein luxuriöses Kaufhaus mit teuren nationalen und internationalen Marken gibt,
werden die auf den Strassen nicht gross sichtbar.
Dort macht sich zudem das Fehlen von Giganten wie H&M,
Zara, Mango usw. bemerkbar, die Fashion für wenig Geld unters Volk bringen.
Trotzdem sei an dieser Stelle vermerkt, dass auch in Shihezi recht viele Frauen
mittels ihrer Kleidung und etlichem Zubehör sich vorteilhaft darzustellen
versuchen, sich rausputzen und schön machen. Während die Männer kleidungsmässig
wie üblich eher dem Zweckmässigen zuneigen (Schutz vor Kälte,
Sonneneinstrahlung, allzu aufdringlichen Blicken), durchaus aber auch – vor allem
auf Seite der Jüngeren – Tendenzen in Richtung Kleidung als Schmuck und Zier
erkennen lassen. Was die Geschlechter dann ganz eint – auch hier vornehmlich bei
jungen Frauen und Männern bis um die 30 – ist eine ins Auge fallende Vorliebe
für Sportklamotten. In einer Trainingshose der Marke Addidas ("aididadi"!) oder Nike und
einer passenden Jacke dazu ist man hier ausser bei Hochzeiten immer gut
gekleidet.
Im Übrigen stelle ich ein Faible fürs Grelle und nicht immer
Geschmackssichere (aber was ist schon guter Geschmack?) genauso wie fürs
Verspielte fest, wobei letztere Vorliebe sich nicht nur bei Kleidung und
Accessoires äussert, sondern darüber hinausgeht, auch Gebrauchsgegenstände einschliesst,
wahrlich den Alltag erfasst, das Wohnen und Arbeiten, ja sogar die Abfallbewirtschaftung.
Es liegt darin etwas Leichtes, kindlich Heiteres und eben Verspieltes, das mir
schon manches Mal kleine Frohmomente bescherte.
Und apropos kindlich, damit wir dann das Thema Kleidung
abhaken können, Kinder bis im Alter von zwei oder drei Jahren tragen in China
Hosen, die hinten einen grosszügigen Schlitz haben und damit den Blick auf
einen Kinderpopo freigeben; wodurch ihre Eltern in der Lage sind, sofort auf
dringende Bedürfnisse zu reagieren, oft über dem Rinnstein des Trottoirs (chinesische
Mütter spüren angeblich ganz genau, wann ihr Kind muss und betrachten Windeln
mehrheitlich mit Misstrauen).
Aber eigentlich wollte ich mich heute auf Handtaschen beschränken
(Beschränkung ist schwierig, wenn der Abstand zum Gewohnten nach wie vor beträchtlich
ist), und zwar jene von Frauen und Männern. In dem Zusammenhang fällt zweierlei
auf. Erstens, dass es hier ganz normal zu sein scheint, wenn Männer wie ein
Hund seine eigene Leine ihren Frauen die Handtaschen nachtragen. Wobei es nicht
um eine männlich fürsorgliche Entlastung zierlicher Frauenschultern zu gehen
scheint, sieht man doch auch Ehemänner, Freunde oder Geliebte, die beispielsweise
ein winziges rosafarbenes, gelacktes Nichts, in das kaum mehr als ein Handy und
Taschentücher passen, über der Schulter hängen haben und dabei so tun, als sei
dies das Selbstverständlichste der Welt.
Zweitens – und über diese Beobachtung freue ich mich
stillvergnügt – tragen hier einige wenige Männer (die gerne auch einen Audi A6,
einen BMW der 5er Reihe oder einen VW Touareg fahren) diese
Handgelenktäschchen, die bei uns Mitte der 70er Jahre aufkamen und dann Anfang
der 8oer, ganz zurecht, plötzlich verschwanden. Dass es so etwas noch gibt!