Eine simple Sprache ist dieses Chinesisch, ohne Artikel, wie
wir sie kennen, ohne Vergangenheit und Zukunft, ohne Konjugation und
Deklination. Wo der Deutschlernende für einen Satz wie «Morgen kaufe ich mir
einen Ledergürtel» schon ein beträchtliches Mass an Grammatik zur Hand haben
muss, kommt ein Chinesischschüler mit (ohne Gewähr) «Mingtiān wǒ mǎi pídài.» (Morgen ich
kaufen Ledergürtel) mit ein paar unbehauenen Wörtern zurecht.
Allerdings zeigt sich hier auch schon eine zweifache Hürde.
Erstens, dass zwischen dem Chinesischen und germanischen wie romanischen
Sprachen ein gehöriger Abstand besteht (ein Abgrund klafft), mit Ableiten
halbwegs bekannter Wörter oder Wortteile also Essig ist. Und zweitens wird man
diese lustigen Akzente bemerkt haben, die im Pinyin (einer offiziellen Hilfsschrift,
die es möglich macht, chinesische Zeichen in lateinischen Buchstaben darzustellen)
Vokale behüten und für insgesamt vier Töne stehen – einen gleich bleibend
hohen, einen ansteigenden, einen kurz fallenden und dann steigenden sowie einen
nur fallenden Ton (es gibt noch einen fünften, neutralen, dessen sich
unsereiner am liebsten immer bedienen würde).
Von meinen bisher 13 Chinesischstunden gingen die ersten
zwei für die Aussprache drauf, und ich könnte nicht sagen, dass das Thema damit
erledigt wäre. Allerdings habe ich einen gewissen Ehrgeiz bei der Wortbetonung
entwickelt, einen Enthusiasmus geradezu, das heisst, ein sogar körperliches Engagement.
Beim ansteigenden Ton beispielsweise (diesem Strich nach rechts oben), machen
mein Kinn und mein Hals diese Bewegung inzwischen automatisch mit; und beim fallend-ansteigenden
gleichfalls. Ich frage mich, ob ich mir das wieder abgewöhnen kann.
Nun gut, aber Sprache ist ja nicht nur Betonung (die jedoch,
bei nicht wenigen ansonsten identischen Silben, entscheidend ist). Sprache ist
auch sich austauschen und verständlich machen, ein Spiel und eine Lust. Bisher
kann ich (meinem Lehrbuch «SHORT-TERM SPOKEN CHINESE» folgend) schon so
nützliche Sätze wie «Ich kaufe eine Flasche Coca Cola.» sagen («Coca Cola» auf
Chinesisch, eins meiner Lieblingswörter: «kěkǒukělè»; weil bei dieser Übertragung
nicht nur ein gewisser Gleichklang zum Original hergestellt, sondern mit
«kěkǒu» («köstlich») und «kělè» («erfreulich», «reizend», «amüsant») auch eine
Bedeutung transportiert wird (wenngleich, meiner Meinung nach, eine falsche). Des
weiteren bin ich in der Lage, einige Fragen zu stellen. Zum Beispiel: «Was ist
das?», «Wo ist die Bibliothek?» oder «Gibt es in diesem Laden auch Kuhmilch?»
Diese meine simplen Fragen führen bei Einheimischen offenbar
zur Annahme, dass man sich mit mir unterhalten kann. Wirft man mir daraufhin doch
regelmässig in irrer Geschwindigkeit eine Reihe noch nie gehörter Wörter an den
Kopf, die auf mein Nichtverstehen hin keinesfalls langsamer wiederholt werden,
nur bedeutend lauter. Was mit meiner recht geduldigen Lehrerin im sozusagen
geschützten Rahmen leidlich funktioniert (nämlich auf vorbereitete Fragen
vorbereitete Antworten zu geben) geht auf der Strasse und im Lebensmittelladen stets
schief.
Wer immer in einer Kampfkunst erste Schritte machte, wird
sich vielleicht (in einer gar nicht so weit hergeholten Analogie) daran
erinnert fühlen. So lange man genau weiss, was das Gegenüber gleich machen
wird, ist es ein Leichtes zurückzuweichen und den Angriff angemessen zu
beantworten. Sobald der «Gegner» es sich aber einfallen lässt, etwas ganz
anderes zu tun (zu sagen), trifft er einen völlig unvorbereitet. Knocked out, k.o.
(jīdǎo), das ist mein Alltag.