Denkt man in China an Deutschland, dann meist mit Ehrfurcht,
Bewunderung oder wenigstens Respekt. Seiner Dichter und Denker, seiner Komponisten
und Erfinder wegen, weil die Deutschen mit Bier und Bundesliga, Mercedes und VW
in Verbindung gebracht werden und all dies nun eben für ein hohes Ansehen
sorgt. An dem auch ein Deutschlehrer hier teilhat, selbst wenn er Schweizer
ist. Schliesslich sind die einen wie die anderen bekannt für Qualitätsarbeit,
Präzision, technisches Verständnis und ihre nimmermüden Tüftler, für
ausgezeichnete Planung, Organisation … und was der Klischees mehr sind.
Zum positiven Deutschland-Bild in China trägt möglicherweise
auch ein Umstand bei, der auf den ersten Blick so positiv gar nicht erscheinen
will. Und zwar die deutsche Besetzung Qingdaos vor über 110 Jahren, als unter
Kaiser Wilhelm II Kriegsschiffe ins Gelbe Meer entsandt wurden, die China vom
Nutzen bzw. der Notwendigkeit eines Pachtvertrags überzeugen sollten; der 1896 schliesslich
auch auf 99 Jahre abgeschlossen wurde. Es waren dann zwar nur 17, aber Zeit
genug, in Qingdao einige Gebäude in deutschem Baustil zu hinterlassen, Wasser-
und Stromsversorgung und nicht zuletzt eine Brauerei, die – inzwischen
natürlich längst chinesisch bzw. multinational geworden – das weit herum
bekannte «Tsingtao» Bier produziert. Dass den Deutschen aber
trotz ihrer (damals allgemein üblichen) Kanonenbootpolitik ein gutes Andenken
bewahrt wird, hat nicht nur mit Bier, den immer noch funktionierenden
Wasserleitungen, zwei Kirchen und einigen hübschen Villen zu tun – sondern auch
damit, dass nach den Deutschen die Japaner kamen, diese als grösseres Übel empfunden
wurden und man somit das kleinere zu schätzen und in guter Erinnerung zu halten
wusste.
Wenn ich in der Mensa esse, setzt sich manchmal, trotz
ausreichend freier Tische ringsumher, jemand extra mir gegenüber. Ich weiss
inzwischen warum, es geht – anfangs gab ich mich besonders bei ausnehmend
hübschen Studentinnen da noch gewissen Illusionen hin – ums Englisch Üben. Was
gern recht offensiv mit der Eröffnung «I
want to make friends with you» beginnt, und
dann kommen die Fragen. Woher ich komme, was ich hier tue, wie mir China
gefällt, ob ich verheiratet bin, Kinder habe usw. Einmal waren es zwei
schüchterne Studenten, die mir gegenüber Platz nahmen und erst einmal kein Wort
herausbrachten. Also assen wir schweigend. Irgendwann eröffnete dann halt ich
die Konversation. Aber gleich bei meinem Beruf, «teacher
for German», zeigte sich, dass die zwei
weder mit «German» noch «Germany» etwas anzufangen wussten, sei es, weil ihnen
diese Vokabel fehlte oder weil sie Europas Zugpferd tatsächlich nicht kennen
(man erhebe sich nun aber nicht über zwanzigjährige chinesische Studenten,
sondern frage sich besser, wie viel man in diesem Alter über irgendein Land in Afrika,
Asien oder über das grosse China, seine Geschichte und Kultur, seine Dynastien
und Provinzen, seine Künstler und Gelehrten wusste … und gebe ruhig zu, dass es
heute kaum mehr ist).
Trotzdem und weil man als Lehrer geradezu trainiert ist, sich
verständlich zu machen: ich probierte es. Probierte es mit Audi, BMW, Mercedes
und VW. Probierte es mit Kahn, Schweinsteiger und Podolski. Mit Marx, Kant und
Nietzsche. Dachte in meiner Verzweiflung schon an Hitler (den hier, so meine
Erfahrung, eigentlich jeder kennt). Aber weil ich es bescheuert finde mit
Hitler zu kommen, wenn einem sonst nichts mehr einfällt, liess ich das.
„Actually I’m Swiss, Switzerland, you know“, sagte ich da in
meiner Not. Abermals kein Zeichen des Verstehens. „Wǒ shì ruìshì“, versuchte
ich es andersrum (wiewohl ich erfahrungsgemäss in meine Aussprache kein
Vertrauen setzen kann) und zeigte dabei mehrmals auf meine Armbanduhr, „our
watches are famous“. Worauf sich die zwei, meine verzweifelte Geste offenbar
anders auffassend, sofort erhoben, sich für das nette Gespräch bedankten und (womöglich
erleichtert) gingen.