Woran ich mich schnell gewöhnt habe: an das schon mehrfach
erwähnte, ausgesprochen wohlschmeckende Essen, stamme es nun aus Sichuan oder
Shandong, aus Hunan oder Xinjiang. Auch der Sommer in dieser Provinz ist sehr
erfreulich – eine lange Kette von heissen, trockenen, dann und wann vom Wind
umfächelten Tagen und Wochen.
Einigermassen gewöhnt habe ich mich an die Sitten im
Strassenverkehr, dass ich mich als Fussgänger vor allen hüten muss, als
Radfahrer hauptsächlich vor Autos; die gelegentlich plötzlich Radwege kreuzen und
auch dann unbedingt Vorfahrt haben. Man kann das ungerecht finden, aber es wäre
töricht, in China auf Schweizer Recht zu pochen. Gegen einen Geländewagen-Koloss
der Marke «Chángchéng» («Grosse
Mauer») hat ein Radfahrer naturgemäss keine
Chance.
Man kann sich an vieles gewöhnen. Selbst an den Geschmack
von UHT-Milch (einem Frischmilchtrinker scheint das erst unmöglich), dass Milch
hier hauptsächlich in 200 ml-Portionen verkauft wird und immer mit Trinkhalmen.
Ebenso Joghurt, das zudem auch «natur» stets süss ist. Und wenn ich schon bei
Milchprodukten bin: Käse gibt es hier kaum, die «Kraft»-Scheibletten im Supermarkt zählen ja wohl
nicht. Aber man kann auch ohne Käse leben.
Mit der Zeit wird fast alles mal normal. Die Rückwärtsgeher
beispielsweise nehme ich zwar noch wahr, genauso wie die Baumlehner, die sich
mit dem Rücken gegen den Stamm fallen lassen, die in die Hände-Klatscher auf
der Strasse und vor Hauseingängen – aber mehr so wie ich daheim einen Jogger wahrnehme:
Leute tun das halt, es ist gesund oder schadet jedenfalls nicht. Etwas fiel mir
schon in Peking auf und hat sich hier bestätigt. Es gibt einige Chinesen, die in
der Öffentlichkeit einfach vor sich hinsummen, zuweilen auch - auf dem Rad oder
beim Überqueren der Strasse - mit kräftiger Stimme ein Lied singen. Das sind
meine Lieblinge.
Woran ich mich schlecht gewöhnen kann: dass ich überall
angestarrt werde; dass das Allereinfachste (einen Brief in die Schweiz
schicken) zu einem kaum lösbaren Problem werden kann und ich somit auf Hilfe
angewiesen bin; dass manche Gebrauchsgüter von unfassbar schlechter Qualität
sind (wie mein zweites, neues, natürlich viel zu billiges Fahrrad (350 Yuan);
dass «ja»
«vielleicht» und «vielleicht» «auf
keinen Fall» bedeuten kann … an meine
brettharte Matratze.
Wohl gar nie werde ich mich an die Männer und Frauen auf der
Strasse gewöhnen können, die spucken, was sage ich, die erst mit einem weithin
hörbaren röchelnden Räuspern und Röhren etwas aus der Tiefe ihres
Körpers nach oben fördern und kurz darauf über die linke oder rechte Schulter aufs
Pflaster schleudern. Einmal ist es mir widerfahren, dass ich so unverhofft in
den Spuckeregen einer Oma geriet und «hey» rief, «Mensch» oder etwas dergleichen. Worauf die Alte sich
aber nicht etwa entschuldigte, sondern mich gehörig zusammenstauchte.
In der Regel treffe ich hier jedoch auf sehr freundliche und
hilfsbereite Menschen, die mir gleichermassen mit Scheu und Neugierde begegnen,
die mich gern überschätzen und wie eine very important person behandeln. Daran
sollte ich mich besser nicht gewöhnen.