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Alltag Alltag in China (Peking - Shihezi, Xinjiang)

Gewöhnung

CHINA | Friday, 19 August 2011 | Views [407]

Woran ich mich schnell gewöhnt habe: an das schon mehrfach erwähnte, ausgesprochen wohlschmeckende Essen, stamme es nun aus Sichuan oder Shandong, aus Hunan oder Xinjiang. Auch der Sommer in dieser Provinz ist sehr erfreulich – eine lange Kette von heissen, trockenen, dann und wann vom Wind umfächelten Tagen und Wochen. 

Einigermassen gewöhnt habe ich mich an die Sitten im Strassenverkehr, dass ich mich als Fussgänger vor allen hüten muss, als Radfahrer hauptsächlich vor Autos; die gelegentlich plötzlich Radwege kreuzen und auch dann unbedingt Vorfahrt haben. Man kann das ungerecht finden, aber es wäre töricht, in China auf Schweizer Recht zu pochen. Gegen einen Geländewagen-Koloss der Marke «Chángchéng» («Grosse Mauer») hat ein Radfahrer naturgemäss keine Chance.

Man kann sich an vieles gewöhnen. Selbst an den Geschmack von UHT-Milch (einem Frischmilchtrinker scheint das erst unmöglich), dass Milch hier hauptsächlich in 200 ml-Portionen verkauft wird und immer mit Trinkhalmen. Ebenso Joghurt, das zudem auch «natur» stets süss ist. Und wenn ich schon bei Milchprodukten bin: Käse gibt es hier kaum, die «Kraft»-Scheibletten im Supermarkt zählen ja wohl nicht. Aber man kann auch ohne Käse leben.

Mit der Zeit wird fast alles mal normal. Die Rückwärtsgeher beispielsweise nehme ich zwar noch wahr, genauso wie die Baumlehner, die sich mit dem Rücken gegen den Stamm fallen lassen, die in die Hände-Klatscher auf der Strasse und vor Hauseingängen – aber mehr so wie ich daheim einen Jogger wahrnehme: Leute tun das halt, es ist gesund oder schadet jedenfalls nicht. Etwas fiel mir schon in Peking auf und hat sich hier bestätigt. Es gibt einige Chinesen, die in der Öffentlichkeit einfach vor sich hinsummen, zuweilen auch - auf dem Rad oder beim Überqueren der Strasse - mit kräftiger Stimme ein Lied singen. Das sind meine Lieblinge.

Woran ich mich schlecht gewöhnen kann: dass ich überall angestarrt werde; dass das Allereinfachste (einen Brief in die Schweiz schicken) zu einem kaum lösbaren Problem werden kann und ich somit auf Hilfe angewiesen bin; dass manche Gebrauchsgüter von unfassbar schlechter Qualität sind (wie mein zweites, neues, natürlich viel zu billiges Fahrrad (350 Yuan); dass «ja» «vielleicht» und «vielleicht» «auf keinen Fall» bedeuten kann … an meine brettharte Matratze.

Wohl gar nie werde ich mich an die Männer und Frauen auf der Strasse gewöhnen können, die spucken, was sage ich, die erst mit einem weithin hörbaren röchelnden Räuspern und Röhren etwas aus der Tiefe ihres Körpers nach oben fördern und kurz darauf über die linke oder rechte Schulter aufs Pflaster schleudern. Einmal ist es mir widerfahren, dass ich so unverhofft in den Spuckeregen einer Oma geriet und «hey» rief, «Mensch» oder etwas dergleichen. Worauf die Alte sich aber nicht etwa entschuldigte, sondern mich gehörig zusammenstauchte.

In der Regel treffe ich hier jedoch auf sehr freundliche und hilfsbereite Menschen, die mir gleichermassen mit Scheu und Neugierde begegnen, die mich gern überschätzen und wie eine very important person behandeln. Daran sollte ich mich besser nicht gewöhnen.

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