Es gibt verschiedene Wege eine Stadt zu erkunden. Man kann
eine Stadtrundfahrt machen, auf einen Fernsehturm steigen, einem Führer folgen,
kann Museen, Kirchen und sonst alles besichtigen, Kirchen in China weniger. Man
kann aber auch einfach versuchen, Kaffee zu kaufen.
Dann war man viel an der frischen Luft (die in Urumqi –
Stahl- und Petroindustrie; infernalischer Strassenverkehr – so frisch nicht
ist), ist unzählige Strassen rauf- und runtergegangen, hat sich mit dem Taxi herumfahren
lassen und mittels einfacher Fragen etwas Kontakt zur Bevölkerung hergestellt. Man
war irrtümlich in Tee- und Schnapsläden, hat einige Einkaufszentren und Hypermärkte
durchkämmt und allmählich damit begonnen «Lavazza», «Segafredo» oder «illy» in die Regale zu halluzinieren. Nichts, kein
Kaffee, hie und da – mittels sehr verführerischer Abbildungen – einzig das
Versprechen darauf (Enttäuschung hat einen Namen: «Nescafé»).
Urumqi ist mit mehr als 2 Millionen Einwohnern die
Hauptstadt der Provinz Xinjiang und Zentrum in jeder Hinsicht. Das Warenangebot ist
entsprechend. Tatsächlich sieht es so aus, als ob in dieser Stadt alles zu haben
wäre, wirklich alles (als Lebensaufgabe vormerken: eine «Liste der Dinge, die es in Urumqi gibt»). Auch Esswaren natürlich. In einem der vielen Einkaufszentren habe
ich im Untergeschoss, unter einer hochglänzenden Uhren-, Schmuck- und
Parfümerieabteilung, einen etwas düsteren, aber höchst lebendigen
Lebensmittelmarkt entdeckt, einen riesigen, von starken Gerüchen erfüllten
Bazar, der so gar nicht unter eins der üblichen Kaufhauserdgeschosse passen
wollte und dessen Angebot – Fleisch (halbe oder ganze Tiere), Obst und Gemüse
ohne Zahl … Nüsse, Kerne und Dörrfrüchte, vielerlei Tofu und allerhand
Eingelegtes nebst Gesottenem und Gebratenem, Gebackenem und Frittiertem – dazu
geeignet war, einen zu entzücken oder zu erschlagen oder beides.
Bei so viel Fülle allerorten, ist es natürlich umso bitterer,
wenn man nirgendwo Kaffee findet. Gleichwohl, was ich bis dahin nur vermutet
hatte, wurde allmählich zur Gewissheit: In einer Stadt, deren Aufgabe es
offenbar ist, auch den hinterletzten Ort in Xinjiang, und sei er Tausende von
Kilometern entfernt, mit Werkzeug und Maschinen, Stoffen und Kleidung,
Computern und Mobiltelefonen, Putzeimern und Badewannen zu beliefern oder sie
zumindest bereit zu halten … in so einer Stadt muss es auch Espresso geben.
Und den gab es dann auch, unter Hunderttausenden von anderen
Artikeln, in einem Grosshandelszentrum etwas ausserhalb; wo ich zweimal 454 g
Kaffeebohnen erstand (die seltsamen Masse, Gewichte und Füllmengen in China
gaben mir schon wiederholt zu denken) und 250 g anständig teuren «illy»-Espresso.
Ach, was gibt es Schöneres, als eineinhalb Tage verzweifelt nach etwas zu
suchen … und es dann auch zu finden! Umso mehr, wenn dieses «Etwas»
etwas so Unentbehrliches, Körper und Geist Belebendes, tatsächlich Morgen für
Morgen Glück Bringendes wie Kaffee ist.
Aber ich habe eben auch eine Stadt gefunden, die mich wie
noch kaum eine andere faszinierte. Ich werde sie wieder besuchen (ein gutes Kilo
Kaffee hält nicht ewig) und dann vielleicht der Frage nachgehen, warum ein
Gutteil der Geschäfte und Kaufhäuser nicht nur (wie in Xinjiang üblich) auf
Chinesisch und Arabisch, sondern auch auf Kyrillisch angeschrieben ist.