Schon seltsam, dass man an einem Sommerabend, Tausende
Kilometer von der christlich-abendländischen Kultur entfernt, in einem
Xinjianger Provinznest hockt, auf ein Taxi ins gut zwei Stunden entfernte
Yining wartet, zum ersten Mal in seinem Leben Pferdemilch trinkt und dabei an
Moses denken muss, den aus der Bibel. Und zwar daran, wie dieser Moses das ihm
und seinem Volk verheissene Land (in dem Milch und Honig fliessen) nur aus der
Ferne sehen, es aber nie betreten durfte. Wegen einer Kleinigkeit, doch für den
alttestamentarischen Gott gab es keine Kleinigkeiten.
Das verheissene Land war in meinem Fall ein ausgedehntes,
von Hügeln und Schneebergen eingefasstes Grasland, das von Kasachen bewohnt und
bewirtschaftet wird, wo Pferde weiden und man in grossen, mit Teppichen ausgelegten
und behängten Rundzelten auf einem einzigen gemeinsamen Lager übernachtet. Eine
überwältigend schöne Landschaft (ich hatte Fotos gesehen), in der fernab des
üblichen Getriebes, von Menschenmengen und Autohupen … Augen und Ohren Rast und
Ruh’ finden.
Dass ich dort nie ankam, habe ich mal wieder einer Behörde
zu verdanken, mit der ich in den letzten Monaten schon mehr zu tun hatte, als
mir lieb sein kann. Und wiewohl die Vorkommnisse an jenem Tag eigentlich alles
haben, was eine abenteuerliche Geschichte braucht (inklusive etwas Gefahr,
mehreren Schurken und einem tragischen Helden), man hier also saftig erzählen
und alle Register ziehen könnte … verspüre ich wenig Lust dazu.
Deshalb nur so viel: Weil ich in ein für Ausländer gesperrtes
Gebiet eingedrungen war, wurde ich von uniformierten Wegelagerern erst
stundenlang festgehalten, dann zu einer Geldstrafe verurteilt und, was
natürlich viel schlimmer war, sofort in ein Taxi zurück verfrachtet,
selbstverständlich auf eigene Kosten. Nach etwas mehr als der Hälfte des Weges,
in Nilike, eben jenem eingangs erwähnten Provinzort, als ich (nach
halsbrecherischer Fahrt etwas verdattert) aus dem einen Taxi aussteige und gern
in ein anderes eingestiegen wäre, damit aber noch warten muss – lädt mich ein beleibter
Kasache in sein Reich ein, schöpft mir ein weisses Getränk in eine Schale, und
dann beobachtet eine kasachisch-uigurische Männerunde wie ein Schweizer zum
ersten Mal in seinem Leben (prickelnde, da leicht vergorene, salzig schmeckende)
Pferdemilch trinkt. Weil die mir schmeckt, kriege ich rasch eine zweite Portion
und bin endgültig im Kreis aufgenommen. Also sprechen wir auch ein bisschen
miteinander, und unsere «Unterhaltung» bestreiten wir mit etwa fünf Wörtern: «mǎnǎi»
(chinesisch, für Stutenmilch) bzw. «kymyz» (dito, aber kasachisch), mit «Kasachstan»,
«Europa»
und «Asien»
… nebst den üblichen Gesten für «gross/klein», «gut» usw. – manchmal kommt man mit wenig Wörtern aus.
Wie diese guten Männer meinen Tag vielleicht nicht ganz und
gar gerettet, aber mich doch (mit Milch aus dem verheissenen Land und ihrer Herzlichkeit)
getröstet haben – es sind Momente wie diese, die bleiben.