Der Sommer ist da und zeigt seine Muskeln, macht aber –
jedenfalls hier, in Shihezi – noch keine Anstalten die 40 Grad zu stemmen. Es
ist auch so heiss genug, schon vergessen die grimmige Kälte nebst dem
überreichlichen Schnee vor drei, vier Monaten, und dass bereits im Oktober
wieder mit Minusgraden zu rechnen ist … daran wollen wir lieber nicht denken.
Der Sommer ist da und bringt eine erstaunliche Varietät von
Schirmen in allen femininen Farben. Meist jüngere Chinesinnen begeben sich
unter diese hübsch anzusehenden, teils reichlich verzierten und an
allerraffinierteste Dessousmode erinnernden Schilde, auch bei bewölktem Himmel,
auf jeden Fall aber da, wo die Sonne, auch nur punktweise, hinreicht. «Wir sind
nämlich schon gelb und wollen keinesfalls braun werden.», erklärte man mir
sinngemäss diese weit verbreitete Sitte. Und die Angst vor sonnengebräunter
Haut scheint so weit zu gehen, dass Chinesinnen, wo sie aus dem Schutz und
Schatten von Bäumen oder Gebäuden treten – und sei es nur, um eine Strasse zu überqueren
– reflexartig ihr Gesicht schützen, mit allem, was, so kein Schirm zur Stelle,
gerade zur Hand ist: eine Flasche Grüntee, ein Deutschbuch, ein neckisches
Handtäschchen.
Der Sommer ist da und mit ihm auch Mengen von Wasser. Ich
meine die unzähligen Rasensprenger jeder Grösse und Gestalt, die in den
Rabatten und Parks ihr Wesen und Unwesen treiben, harmlose Spaziergänger ins
Kreuzfeuer nehmen und manchmal regelrecht ausser Kontrolle geraten, dann wie
ein Wasser speiendes Rumpelstilzchen auf Grasflächen herumtollen, -zucken und -zappeln.
Neulich im Park, ich sass auf einer sicheren Bank und hatte
eine Rasensprenger-Stellung im Blick, die es nach meiner Einschätzung unmöglich
machte, auf direktem Weg trocken zum Park-Ausgang zu gelangen. Da näherte sich
eine Gruppe von Rentnern, die vor den feindlichen Linien erst einmal
haltmachte, deren Stärke abzuschätzen schien und beratschlagte. «Mal sehen, was
die jetzt machen.», dachte ich. Jetzt muss man nur noch wissen, dass Chinesen
ungern Umwege in Kauf nehmen (sondern ganz im Gegenteil eine grosse Vorliebe
für Abkürzungen hegen), um die Spannung zu verstehen, die mich ergriff, eine
fiebrige Erwartung, die ich mir freilich nicht anmerken liess (ich gab vor,
meinem Mobiltelefon wichtige Nachrichten zu entnehmen).
Ach, was gibt es Schöneres als über 70-jährige laufen und
lachen zu sehen, die kindlichen Schreie von (überraschend behänden) Gross- oder
schon Urgrossmüttern zu vernehmen und alle – aber sie wussten das, es war Teil
des Spiels – am Ende nass gespritzt zu sehen. Alle, bis auf einen, ausgerechnet
den einzigen, der am Stock ging. Wie dieser grosse, massige Alte erst einmal
die taktische Ausrichtung der tückischen Wasserkanonen studierte, sich die
Zeitintervalle einzuprägen schien und dann unerschrocken losmarschierte, da und
dort wohlüberlegte Stopps einlegte und schliesslich langsam aber sicher zum
Ausgang gelangte … hatte meinen ganzen Respekt und freute mich sehr (zumal die bekanntlich
grösste und schönste Freude ja schon zuvor befriedigt worden war).