Ob es in China auch heisst, man solle morgens wie ein
Kaiser, mittags wie ein König und abends wie ein Bettler speisen, weiss ich
nicht, möchte es aber bezweifeln. Nach meiner Beobachtung langen Chinesen bei
jeder Mahlzeit tüchtig zu und einzig die eine oder andere von Haus aus zwar
schlanke, aber dennoch sehr figurbewusste junge Frau mag sich abends mit einem
Süppchen oder einem Schälchen Reis und etwas Wassermelone zufrieden geben.
Ansonsten könnte die Maxime gelten: dreimal wie ein Kaiser – und immer gut
gekocht.
Jetzt muss unsereiner sich daran ja nicht halten und kann,
soweit möglich, bei seinen Gewohnheiten bleiben. Ich frühstücke meistens nach
westlicher Art und zu Hause. Als erstes gibt es echten italienischen Espresso
mit warmer Milch. Dann manchmal ein gutes Stück Brot mit Rosinen und Nüssen
oder Haferflocken mit Joghurt, nebst Bananen und anderen Früchten. Die zwei
Male, da ich in der Mensa gefrühstückt habe, waren eine Enttäuschung; weil eine
hier sehr beliebte Art von Porridge vollkommen neutral schmeckt (ich würde sagen,
nach weniger als Wasser) und die Krapfen dazu mal zu fett, mal zu trocken und mal
zu süss sind.
Gar keinen Grund zur Beschwerde aber habe ich jeweils
dienstags, wenn ich morgens meine Wohnung putzen lasse und deshalb während zwei
Stunden das Weite suche. Und wie es manchmal so geht: das Gute liegt ganz nah,
in meinem Fall ist es ein Imbiss drei Minuten von hier. Man frühstückt draussen
an der Strasse, denn in der Küche, wo in riesigen Töpfen verschiedene Suppen
vor sich hin kochen, wäre zu wenig Platz. So wird der Teig für die Brötchen eben
auf dem Gehweg hergestellt, wo auch Gemüse geschält und geschnitten, wo gelacht und
gestritten wird, wo Kinder kleinen Hunden nachstellen und der yeye wie die
nainai (die Grosseltern) in Vierergruppen Mahjong oder Karten spielen –
draussen, wo das Leben ist und irgendwo auch ich, mich an einer sämigen Suppe
mit Pilzen, Tofu, Ei und Erbsen erfreuend und herzhaft den vier Dampfbrötchen
(zwei mit Gemüse- und zwei mit Fleischfüllung) zusprechend, die man mir schon
ungefragt hinstellt, wobei man diese sehr leckeren, in zweiteiligen
Bambuskörben gegarten und servierten Teigklopse vorher noch in ein scharfes,
aus Pfefferpaste und Sojasauce gemischtes Sösschen tunkt – ah, manchmal braucht
es zum Glück so wenig.
Dass meine kleine Frühstücksidylle (wo ich im Betreiberpaar
und unter seinen Gästen sehr herzliche Menschen kennen gelernt habe, mit denen
ich mich, allein meine Schuld, nur leider nicht unterhalten kann)
schweizerischen Hygienemassstäben vielleicht nicht genügt und bei einer strengen
Prüfung durch das Basler Lebensmittelinspektorat durchfiele, stört mich, den
Kaiser von China (immer nur dienstags von 10 bis 11) schon lange nicht mehr.