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Alltag Alltag in China (Peking - Shihezi, Xinjiang)

Guanxi

CHINA | Sunday, 29 May 2011 | Views [476] | Comments [2]

Ich war noch nicht lange in Shihezi, da wurde mir von einem Chinesen ein Begriff genannt, der «the core of Chinese society» sein soll, also geradewegs in ihr Herz führe. Es handelt sich dabei um «guanxi», vielleicht am zutreffendsten mit «Beziehungen» übersetzt. Seither hatte ich Gelegenheit genug, das guanxi-System, dieses weit reichende Netz aus Verbindungen, aus Abhängig- und Gefälligkeiten, etwas zu studieren (ich sage nicht: zu verstehen), will hier aber nicht ins Detail gehen.

Deshalb nur ein garantiert fiktives Beispiel zur Veranschaulichung: Der Chinese A möchte seine Tochter in einer Mittelschule unterbringen, die ihr jedoch, warum auch immer, nicht offen steht. Nun erinnert sich A seines Onkels B, der gewöhnlich sehr gute Kontakte zur Obrigkeit hat. Und in der Tat, B. kennt in der Schulbehörde den Beamten C., der in dieser Sache freilich ganz machtlos ist, aber gute Beziehungen zu D. pflegt, dem er, C., vor nicht allzu langer Zeit zur Festigung der Freundschaft sündhaft teure Flusskrebse hatte zukommen lassen, sodass nun also D. (der zufällig mit A. im selben Dorf aufwuchs, diesen aber seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat) bei E., dem Entscheidungsträger in dieser Angelegenheit und D. wegen irgendetwas auf ewig verpflichtet, ein gutes Wort für A. einlegen wird. 

So geht das, so wichtig ist guanxi, ja, unverzichtbar. Übrigens gut möglich, dass am Ende A. und E ihre wieder aufgenommene Beziehung (und des Töchterchens Wechsel zur Mittelschule der Wahl) bei einem Gläschen oder zwei, drei feiern. Das Hilfs- und Schmiermittel zur Pflege von guanxi aber ist Baijiu, ein klarer, starker Schnaps.

Ich entsinne mich einer Einladung zum Abendessen, die, so vertraute mir der Gastgeber an, hauptsächlich der Pflege seiner Beziehungen diente und in deren Verlauf ich Zeuge einer Art Wett- und Kampftrinkens wurde, bis die augenscheinlich wichtigste Person im Kreis der um einen runden Tisch Versammelten sich nur noch von links und rechts gestützt zum Trinkspruch («ganbei», … etc.) erheben konnte. Dieser auf mich recht unfroh, trotz bedeutender Mengen Alkohols verkrampft, mindestens aber seltsam wirkende Abend sei, so versicherte mir der am Ende auch schon merklich angeschlagene Gastgeber, ein voller Erfolg gewesen. Nun könne er sich bis auf Weiteres wieder einiger wichtiger Leute sicher sein.

Dass ich selbst an diesem Abend den Baijiu-Gruss der Respektsperson von jenseits des Tisches mit meinem «Wusu»- Bier erwiderte (ich mag nun mal keinen Schnaps), sei, so klärte man mich später auf, ein schwerer Fehler gewesen. Durch den nicht nur ich selbst mein Gesicht, meine Männlichkeit und alles verlor, sondern, was viel schwerer wiegt, diesem wichtigen Mann sein Gesicht genommen hätte. Da kann ich nur hoffen, dass ich seiner Hilfe nie bedarf, sein Einfluss doch nicht gar so bedeutend ist oder er nach diesem kapitalen Rausch vergessen hat, was der ungehobelte Schwede (die Schweiz wird hier gern mit Schweden verwechselt) ihm antat.

 

Comments

1

gut gemacht! kein schnaps. aber eine andere frage: wie kann der wichtige mann, der sein gesicht verloren hat bzw. das du ihm durchs biertrinken genommen hast (also inklusive mund), denn überhaupt weiterhin schnaps trinken? –

  fischyou May 30, 2011 6:09 PM

2

Gute Frage, und ich kann mir das auch nur damit erklären, dass man jemandem das Gesicht nicht nur nehmen, sondern ihm auch eines geben kann, nach dem unglaublichen Vorfall also jemand dem wichtigen Mann ganz schnell ein neues Gesicht zugesteckt haben muss, worauf dieser nicht mehr nackt dastand und, das vor allem, weitertrinken konnte.

  ollo May 30, 2011 6:38 PM

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