In der Nacht vom 14. auf den 15. Mai ist mein geliebtes
GIANT-Velo nach einem viel zu kurzen Leben mit mir (nach nur sechs, allerdings erfüllten,
von vielen schönen Erinnerungen begleiteten Wochen) keineswegs sanft, vermute
ich mal, aus dem Keller meines Wohnhauses entführt und verschleppt, vulgo geklaut
worden.
Sodass nun also passiert wäre, womit ich in gewisser Weise
gerechnet hatte; allerdings nicht so, nicht so früh und nicht an einem Sonntag
(ich hatte mir vorgestellt, dass die Fahrraddiebe um Ende Oktober herum zuschlagen
würden, wenn es eh bald zu kalt wird zum Fahrradfahren und ich mich somit ein
gutes halbes Jahr an meinem kleinen Riesen erfreut gehabt hätte).
Am Vorabend meiner Abreise nach Shihezi hatte mich mein
Arbeitgeber in ein Restaurant mit Spezialitäten aus Xinjiang geführt. Nicht
ohne süffisant zu bemerken, dass der Xinjiang-Food in diesem Pekinger Lokal
möglicherweise besser sei als in Xinjiang selbst (was sich glücklicherweise
nicht oder nicht durchgängig bewahrheitete). An diesem Abend war auch von den
sehr versierten Dieben an meinem neuen Aufenthaltsort die Rede, ja, man warnte
mich eindringlich vor ihnen.
Und wie auf Verabredung trat – nachdem sich zwei junge
Männer an den Tisch unmittelbar hinter mich gesetzt hatten – die Bedienung an
uns heran, wies auf meine über den Stuhl gehängte Jacke und
mahnte zur Vorsicht. Ich kontrollierte meine Taschen und versprach aufzupassen.
Doch wenig später näherte sich die Bedienung erneut, mit einem Stuhl diesmal,
der nun über Eck zu meiner Rechten platziert wurde, und sie wich erst dann
wieder von unserem Tisch, als ich meine Jacke dorthin gehängt hatte. So viel
Umsicht und Sorgfalt begegnet einem nicht jeden Tag; sie rührte mich mehr, als
dass sie mich beunruhigt hätte.
Über zwei Monate ist das her, und auch wenn diese Warnung
nun in gewisser Weise bestätigt wurde, weigere ich mich doch zu unterschreiben,
dass Shihezi in Sachen Diebstahl und aktuell eben Fahrraddiebstahl eine
aussergewöhnlich gefährliche Gegend sei. In Basel, Bern, Genf und Zürich werden nämlich auch Velos gestohlen,
hätte ich einem Polizeibeamten auf dem Präsidium in Shihezi gerne gesagt. Aber
ich wollte ihn nicht enttäuschen. Schliesslich hatte er mir zuvor freudig
mitgeteilt, dass alle Chinesen die Schweiz lieben, weil sie «peaceful»
und «safe»
sei.
PS Ich werde mir
wohl wieder ein Fahrrad kaufen, mit Sicherheit aber kein Mountainbike mehr (oder
auch nur ein von fern an eines erinnerndes). Sondern irgendeinen gewöhnlichen,
alten, schmutzigen Schrottesel, der beim Fahren Klagegeräusche von sich gibt, mich
aber trotzdem von hier nach dort bringt.