Es gibt etwas, was sich in China bei Tisch nicht ziemt und
das ist, gerade einen Schnupfen zu haben bzw. den Drang zu verspüren (und ihm
nachzugeben), mit Hilfe eines Taschentuchs seine Nase zu befreien, sich in
einer Tischrunde also, und das womöglich mit Nachdruck, zu schnäuzen. Ausserdem
– aber das ist schon weniger schlimm – wird schief angesehen, wer Speisen in
die Hand nimmt, dafür, auch etwa für Brot und Plunderteilchen zum Dessert, sind
ja Stäbchen da.
Sonst ist nach meiner Beobachtung eigentlich alles erlaubt,
auch Schlürfen, Schmatzen, Hühnerknochen und Fischgräten auf den Tisch spucken
… oder gleich auf den Boden – am Ende wird doch alles zusammengekehrt. Wobei
man in Verbindung mit Schlürfen eher nicht von „erlaubt“ sprechen sollte; macht
es doch den Anschein, dass Tee, Suppe und Nudeln geschlürft werden müssen,
vielleicht zur Steigerung des Geschmackserlebnisses, aus mir unbekannten gesundheitlichen
Gründen oder einfach, weil es Spass macht.
Es steht mir als Gast nicht zu, das hiesige Benehmen bei
Tisch zu kritisieren. Ein Laowai hat die ihm fremden Sitten zu studieren und
sich ihnen, soweit ihm das möglich ist, anzupassen. Dabei hilft ihm auch der
natürliche Prozess der Gewöhnung. Was nun aber nicht heissen will, dass es
keine Rückfälle, keine Momente des Befremdens mehr gäbe.
So wie neulich, als ich in der Mensa einer kleinen, feinen, geradezu
elfengleichen Studentin gegenüber sitze, eben noch versonnen deren fremdschönes
Gesicht, ihre makellose Haut und ein entzückendes Näschen studiere, ihre zierlichen,
kompakten, so wohlgeformten Hände bemerke, deren eine alsbald zu den
Essstäbchen greift … worauf sich die Elfe urplötzlich in eine Art Nudelsauger
verwandelt, ihre Teigwaren also ebenso geräuschvoll aus der Brühe in den Mund
zieht wie alle anderen auch, nun eben kräftig schlürfend und schmatzend. Wer
hätte das diesem zarten Persönchen zugetraut.