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Alltag Alltag in China (Peking - Shihezi, Xinjiang)

Privatsphäre

CHINA | Tuesday, 15 March 2011 | Views [1601]

Gestern, nachdem ich gerade kurzentschlossen meine Wohnung ausgefegt und die empfindlichen Böden feucht gewischt hatte, stellte ich mich unter die Dusche. Ach, es gibt nichts Schöneres, als sich nach getaner Arbeit mittels der erfrischenden und reinigenden Wirkung möglichst gleichbleibend temperierten Wassers … aber der gestrige Wasserstrahl war, wiewohl auch sonst nicht gerade üppig, besonders dünn … ward alsbald zu einem traurigen Tröpfeln und versiegte ganz. Man hatte mir offenbar das Wasser abgestellt.

Und nun erinnerte ich mich auch wieder des Besuchs jenes gut gekleideten Herrn Tage zuvor, der erst energisch gegen meine Wohnungstür geklopft hatte, dann umstandslos eingetreten war, (wobei er wechselweise laut auf mich einsprach oder in eine Art Funkgerät hinein), den Raum unter meiner Spüle in der Küche inspizierte, mir gestenreich etwas erklärte, lachte, mehrmals seinen Zeigefinger in die Luft schnellen liess und schon wieder verschwunden war. Ich hatte natürlich kein Wort verstanden.

Nun klopft es wieder, ich habe gerade noch Zeit, mir ein T-Shirt und eine Trainingshose anzuziehen. Derselbe gut gekleidete Herr und in seinem Schlepptau zwei Männer in Arbeitskleidung, die auch schon wortlos an mir vorbei in meine frisch geputzte Küche eingedrungen sind, ihre Gerätschaften auf dem Fussboden verteilt haben und sich unter meiner Spüle zu schaffen machen. Als ich meine Sprache wiederfinde, ist der Chef auch schon durchs Treppenhaus nach oben verschwunden.

Später wird er mehrmals zurückkommen, meine Wohnung betreten, durch sein Funkgerät etwas nach unten oder oben durchgeben und wieder verschwinden. Währenddessen kommunizieren auch die Arbeiter in meiner Küche munter,  aber nie miteinander, sondern durch ihre Mobiltelefone; um ehrlich zu sein, sie schreien.

Man muss sich also vorstellen, wie ich in Leibchen und Turnhose auf meinem Sofa, in meinem Wohnzimmer sitze, während in meiner Küche gewerkelt und herumkrakeelt wird und laufend jemand in meine Wohnung stürzt oder sie wieder verlässt, telefonierend oder funkend, was weiss ich. Natürlich werde ich wütend, natürlich versuche ich mich zu wehren (und gebrauche dabei einige deutliche deutsche Worte), was allerdings von chinesischer Seite, wenn überhaupt, dann höchst gleichgültig aufgenommen wird. Auch von dieser Frau, die nun plötzlich auch noch in meiner Wohnung steht und sich interessiert umsieht, dann in meine Küche stöckelt und sich mit den Arbeitern unterhält, scherzt, lacht – eine Nachbarin offenbar, und es half gar nichts, dass ich sie bei ihrem Eintreten, als sie grusslos die Schwelle überschritt, abweisend und geradezu feindselig angestarrt habe.

Man sitzt also auf seinem Sofa, in seiner Wohnung und hat doch das Gefühl, dass es nicht oder nicht mehr die eigene ist. Man erlebt, wie ohne Unterlass fremde Leute die Wohnung laut und zwanglos sprechend betreten (aber nie mit mir) und wieder verlassen, und wähnt sich allmählich in einem jener Volkstheaterstücke, in denen es genauso zugeht, dauernd jemand auf- oder abtritt, in diesem Fall allerdings in einem Stück von Kafka, falls der auch fürs Theater geschrieben hätte.

Dass man gerade dabei ist, einen höchst wichtigen kulturellen Unterschied zwischen Ost und West zu erleben (und zwar hinsichtlich Privatsphäre und öffentlichem Raum, Individual- und Gruppenkultur) … realisiert man erst später. Auch, dass man jetzt einen neuen Wasserzähler hat.

 

 

 

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